Das Jahr 2020 sollte eigentlich ein besonderes Jahr im globalen Kampf um Gleichstellung und Frauenrechte in Kriegs- und Krisengebieten werden. Jedoch geschah durch die weltweite Ausbreitung von COVID-19 das genaue Gegenteil: Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und das Machtgefälle intensivierten sich vor allem in konfliktreichen Ländern.
In der Aktionsagenda Unheard.Unseen - A Global Agenda for Action skizziert die Organisation Women for Women International die Herausforderungen, denen Frauen in Kriegs- und Krisengebieten aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt sind. Die Aktionsagenda verweist auf fünf Bereiche, in denen dringender Handlungsbedarf besteht, um die Situation der betroffenen Frauen zu verbessern. Sie soll als Handlungsempfehlung für Regierungen und Institutionen verstanden werden.
Auswirkungen von COVID-19 auf Frauen in Konfliktgebieten
Women for Women International kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen aus konfliktbetroffenen Ländern die Folgen der Pandemie besonders stark zu spüren bekommen. Dies gilt vor allem mit Blick auf soziale sowie wirtschaftliche Folgen für Frauen, die in massiver Armut leben: „Am härtesten wird diese Entwicklung diejenigen treffen, die bereits zuvor weder gesehen noch gehört wurden.“[1]
Viele Frauen sehen sich aufgrund der Krise mit immensen, lebensbedrohlichen Herausforderungen konfrontiert: Da ein Großteil von ihnen unbezahlte Pflegearbeit leistet, sind sie einer überproportional hohen Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Von Armut betroffene Frauen müssen i.d.R. trotz Lockdown ihre Häuser verlassen und können größere Menschenansammlungen, beispielsweise auf Märkten, nicht vermeiden. Zerstörte oder geschwächte Gesundheitssysteme gewähren nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung. Darunter leiden Frauen als Erste: So stieg beispielsweise während der Ebola-Epidemie die Müttersterblichkeit in Westafrika um 75 Prozent. Bedingt durch niedrige Alphabetisierungsraten und die Verbreitung von Falschinformationen wird der Zugang zu lebenswichtigen Informationen außerdem erschwert. Menschen mit wenig oder gar keiner Bildung, von denen zwei Drittel Frauen sind, erkranken somit häufiger.
Viele Frauen sind wegen der Pandemie sozial isoliert und durch die Ausgangsbeschränkungen immer häufiger von häuslicher Gewalt betroffen. Die Mehrzahl der Frauen arbeitet im informellen Sektor, ohne arbeitsrechtlichen Schutz oder soziale Absicherung. Viele können ihre Tätigkeiten dort gar nicht mehr oder nur unter erhöhter Ansteckungsgefahr weiter ausführen. Der daraus entstehende Einkommensverlust führt zu Nahrungsmittel-Knappheit, die wiederum die gesamte Familie trifft. Die aussichtslose Situation zwingt Frauen u.a. dazu, schwierige Entscheidungen zu treffen, um an Geld zu gelangen. Nicht zuletzt setzen Frauen zwar in vielen Bereichen Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor COVID-19 um, sind von den dahinter stehenden Entscheidungen aber ausgeschlossen.
Handlungsempfehlungen der Aktionsagenda
- Frauen dürfen nicht als homogene Gruppe gesehen werden, da sich ihre Lebensrealitäten voneinander unterscheiden.
- Präventions- und Hilfsmaßnahmen zur Pandemie müssen eine Genderperspektive in den Mittelpunkt stellen, ohne dass dadurch andere Hilfsmaßnahmen für Frauen in Konfliktgebieten reduziert werden.
- Frauen und Frauenrechtsorganisationen müssen eine entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung für Maßnahmen gegen die Pandemie spielen.
- Das stark angestiegene Gewaltrisiko muss anerkannt und entsprechende Präventionsmaßnahmen eingeleitet werden.
- COVID-19 darf nicht nur als eine Wirtschaftskrise, sondern muss ebenso als eine gesundheitliche und humanitäre Krise anerkannt werden.
Quelle:
Unheard. Unseen: Ein Briefing zu COVID-19, Women for Women International
Stand: 08/2020
[1] Unheard.Unseen: Ein Briefing zu COVID-19, S.1