Bisher können sich Frauen in der Türkei noch auf die Istanbul-Konvention berufen, die dort 2012 ratifiziert wurde und nach Art. 1a „Frauen vor allen Formen von Gewalt schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verhüten, verfolgen und beseitigen" soll. Doch Präsident Erdogan will die Konvention überprüfen lassen, um „Männer nicht zu Sündenböcken zu machen“ – ein absurder Gedanke in Anbetracht der aktuellen frauenrechtlichen Situation.
Erst vor wenigen Monaten sorgte die Regierungspartei AKP für einen weiteren frauenrechtlichen Eklat: sie setzte ein seit 2003 geplantes Gesetz, das einem Vergewaltiger Strafmilderung zusichert, wenn dieser sein Opfer heiratet, erneut auf die Agenda. Durch eine Heirat werde die „Ehre der Frau“ wiederhergestellt. Das Gesetz scheiterte bislang trotz mehrmaliger Versuche am Protest der Frauenorganisationen. Diesmal wird argumentiert, die Frauenorganisationen verträten nicht die „durchschnittliche türkische Frau“.
474 Frauen wurden 2019 Opfer von Femiziden. In sozialen Netzwerken berichten Hundertausende Frauen unter dem Hashtag #Sendeanlat ("Erzähl auch du") von Gewalt, Missbrauch und sexueller Belästigung. Öffentliche Unterstützung und Solidarität gegenüber den betroffenen Frauen ist von der Regierung jedoch nicht zu erwarten: Erdogan bezeichnete die protestierenden Frauen als „unislamisch“ und „inakzeptabel“. Frauen und Männer könne man ohnehin nicht gleichstellen, das sei gegen die Natur. Mädchen und Frauen wird so nicht nur die Hilfe verwehrt, die sie dringend bräuchten, sondern geschlechtsspezifische Gewalt wird sogar befeuert. Auch die Corona-Pandemie lässt die Raten an häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen und Frühehen in der Türkei in die Höhe schnellen: die Hotlines für häusliche Gewalt sind überlastet. Allein im März 2020 wurden 29 Frauenmorde und neun weitere verdächtige Todesfälle von Frauen verzeichnet. Der Gewaltanstieg ist v.a. auf die Ausgangssperren in zahlreichen Städten zurückzuführen, da die Frauen nun tagelang auf engstem Raum mit potenziell gewalttätigen Partnern ausharren müssen. Ein weiterer möglicher Grund ist die Freilassung von Gefangenen, um die Zahl der Gefängnisinsassen zu verringern und die Verbreitung von COVID-19 in staatlichen Strafvollzugsanstalten einzudämmen. Von Gewaltverbrechen gegen Frauen und Kinder durch die freigelassenen Täter wurde bereits berichtet.
Umso wichtiger ist die Arbeit der TERRE DES FEMMES-Partnerorganisation YAKA-KOOP, die Mädchen und Frauen in Notlagen rechtlich und psychologisch berät. Außerdem verfolgt und unterstützt sie strafrechtliche Verfahren nach Vergewaltigungen, Frauenmorden oder -Suiziden.
Spenden Sie jetzt um die unerlässliche Arbeit von YAKA-KOOP, v.a. die Beratungen für Frauen in Not, zu sichern.
Quellen:
https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/04/turkey-domestic-violence-rises-coronavirus.html
https://www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Zerschlagung-der-Frauenbewegung-4776562.html?seite=all