Die ausgebildete Schneiderin freut sich über den Erfolg ihres Unternehmens. Foto: © LuceroWie eine Diva stolziert der Dackel von Damarís Sevilla ins Wohnzimmer, als wir uns mit der 37-Jährigen über ihr frisch gegründetes Modelabel unterhalten. Um die Hüften trägt die Dackeldame ein Tutu - ein Ballettröckchen – in gelbem Satinstoff. Die kurzen Beine zieren Rüschen-Strumpfbänder in der gleichen Farbe. Unser Gelächter macht den Starallüren des Dackels ein Ende. Mit einem Satz verschwindet er unter der Couch. „Sie ist mein bestes Model“, scherzt Damarís, die kürzlich ihre Schneiderei-Ausbildung bei der TDF-Partnerorganisation Asociación Proyecto MIRIAM in der Stadt Estelí im Norden von Nicaragua abgeschlossen hat.
Ihre ersten Kundinnen rekrutierte Damarís aus der eigenen Kirchengemeinde, indem sie besonders gelungene Stücke ihrer Kollektion am sonntäglichen Gottesdienst trug und so bald auf ihren guten Geschmack und die Herkunft der Stücke angesprochen wurde. Dann wurde die Nachbarschaft auf sie aufmerksam. Als sie schließlich anfing, den Werbegag „Dackel-Tutu“ auf Facebook einzustellen, gingen die Bestellungen durch die Decke.
Gelungener Start dank Business-Plan
Mit MIRIAM’s Unterstützung hat Damarís einen Business-Plan entwickelt, der ihr den Start ins Unternehmerinnen-Leben erleichterte: „Ich hatte zwar viele Ideen, verfranste mich aber, weil ich mich nicht entscheiden konnte und so auch kein klares Ziel vor Augen hatte. Für den Business-Plan musste ich mich fragen: Was will ich wirklich? Welchen Schwerpunkt setze ich?“ Der Weg zu Labelnamen und Slogan war dann nicht mehr weit: „Yis Confección“ fertigt Damen- und Kindermode und ermöglicht Kundinnen Termine auch nach dem offiziellen Ladenschluss. Flexibilität für sie und ihre Kundinnen sind oberstes Gebot. Das eigene Kleinunternehmen macht es möglich und Damarís weiß das zu verkaufen: „Algunos buscan un mundo más bonito. Otros lo crean“ (zu Deutsch: „Manche suchen nach einer besseren Welt. Andere machen sie“). Auch die Finanzplanung für ihr Unternehmen, wie z.B. die Festlegung rentabler Preise für die selbst genähte Kleidung, war neu für Damarís. „Bei MIRIAM habe ich meine eigene Leistung und Produkte schätzen gelernt und ihnen einen Wert gegeben“.
Leben vor und nach der Ausbildung bei MIRIAM
Vor ihrer Ausbildung zur Schneiderin arbeitete Damarís in einer der vielen Tabakfabriken in Estelí für einen Tageslohn von 200 nicaraguanischen Córdobas, rund 5 Euro. Ihr Gehalt reichte nicht einmal für eine warme Mahlzeit mit der ganzen Familie – Damarís war finanziell von ihrem Ehemann abhängig. Mit ihrer eigenen Mode verdiente sie zu Beginn noch weniger – nur 2,50 Euro pro Tag. Dann sprachen sich Damaris‘ Präzision beim Nähen und ihre perfekt an den Körper angepassten Schnitte herum und das Geschäft brummte. Im letzten Dezember verdiente sie dank Aufträgen für Festtagskleidung täglich bis zu 3.000 Córdobas bzw. 80 Euro. In Monaten mit weniger Nachfrage kommt sie heute auf 10 Euro pro Tag. Doppelt so viel Geld als vorher. Und die Arbeitszeiten sind besser: Damarís sitzt ab 10 Uhr an der Nähmaschine. Um 17 Uhr macht sie Schluss. Auf ihre einstündige Mittagspause verzichtet sie selten. Jetzt bleibt mehr Zeit für ihre Tochter, Damarís‘ Ein und Alles. Sie soll später unabhängig von einem Mann sein, ihre Meinung sagen und dafür eintreten, dass diese auch respektiert wird. Damaris‘ Tochter nickt selbstbewusst. Die 17-Jährige geht ihren Weg: sie macht gerade ihr Abitur, will anschließend Gynäkologin werden.
Besonders gefallen an der Ausbildung bei MIRIAM hat Damarís, dass theoretisches Wissen immer direkt in die Praxis umgesetzt wurde, und die Ausbilderinnen mit mehr Techniken und Stoffen experimentierten als von staatlicher Seite für die Zertifizierung der Ausbildung vorgesehen. „Meine Ausbilderin war auch nach dem Kurs immer für mich da. Wenn ich ein Kleid aus einem besonders schweren Stoff nähen musste, hat sie mich mit Tipps unterstützt. Sie hat dann gesagt: Du machst das schön alleine. Ich helfe nur, wenn etwas schief geht“.
Unveräußerliche Rechte
Doch nicht nur als angehende Schneiderin habe sie viel von MIRIAM gelernt, zieht Damarís Bilanz, sondern auch als Frau. Wie alle Auszubildenden nahm Damarís an Workshops von MIRIAM zu Frauenrechten und Gleichberechtigung teil. „Ich weiß jetzt, dass Männer und Frauen gleich viel wert sind, und dass wir Frauen Rechte haben, die uns niemand nehmen kann“. In einem Workshop erzählte z.B. eine Teilnehmerin von ihrem dominanten Ehemann und dass er behauptet hätte, nach der Heirat habe sie keine eigenen Rechte mehr und müsse nun immer das tun, was er von ihr verlange. Fast alle Frauen hätten das geglaubt. „Auch ich dachte lange, ich hätte kein Recht, selbst zu entscheiden. Heute weiß ich, dass ich eine Meinung haben und diese auch nicht einfach übergangen werden darf“.
Blick in die Zukunft
Von ihren Einnahmen legt Damarís immer einen Teil für Investitionen zurück. Damit hat sie sich bereits ihre erste Nähmaschine, Stoff zum Üben und einen großen Tisch gekauft. Ihre Pläne für die Zukunft? „Ich brauche eine Glasvitrine, um meine Mode präsentieren zu können. Langfristig will ich mein Atelier ausbauen und andere Frauen anstellen, um mehr Aufträge annehmen zu können“. Damarís sagt das weder verlegen noch unsicher. Sie glaubt an sich und ihr Geschäft. „Der Unterschied zu damals, vor MIRIAM“, sagt Damarís, „ist, dass ich etwas erreicht habe, was ich vorher nie für möglich gehalten hätte. Das hat mich stark gemacht.“
Das Interview mit Damarís Sevilla führte TDF-Referentin Birgitta Hahn im Februar 2019.