Das Gebäude der Beratungsstelle von BHUMIKA in Karimnagar, Indien. Foto: © BhumikaAnfang 2019 brachen in Indien erneut Proteste aus und Frauen solidarisierten sich, um für mehr Gleichberechtigung zu kämpfen. Anlass war die Verweigerung von Männern, Frauen im Alter von zehn bis 50 Jahren Zutritt zu einem Hindu-Tempel zu gewähren, trotz anderslautender richterlicher Entscheidung. Nichtsdestotrotz bleibt Indien ein gefährliches Land für Frauen. Gewalt gegen Frauen ist leider überall gegenwärtig und die Fallzahlen steigen sogar. Wurden 2013 noch ca. 310.000 Verbrechen gegen Frauen polizeilich erfasst, waren es 2016 fast 339.000, darunter knapp 39.000 Vergewaltigungen[1].
Umso wichtiger ist es, Frauen eine sichere und kompetente Anlaufstelle zu bieten, wenn sie von Gewalt betroffen sind. Genau dieser Aufgabe hat sich unsere Partnerorganisation BHUMIKA Women’s Collective verschrieben und betreibt seit 2015 eine Beratungsstelle in Karimnagar, die seit Juli 2017 von TERRE DES FEMMES unterstützt wird.
Von Juli bis Dezember 2018 kamen insgesamt 170 gewaltbetroffene Frauen in die Beratungsstelle in Karimnagar, um rechtliche Beratung und psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen. Der Beratungsbedarf hat sich gegenüber dem ersten Halbjahr 2018, als nur 93 Frauen bei BHUMIKA vorstellig wurden, also fast verdoppelt, und spiegelt so auch die steigenden Fallzahlen wider.
Von den 170 Betroffenen kamen 139 erstmalig zu BHUMIKA. Dort wurden sie zu ihren Rechten beraten und sprachen über mögliche Handlungsoptionen und Wege aus der Gewalt. Bei Bedarf wurden die Frauen auch an relevante Stellen z.B. zur Schutzunterbringung weitergeleitet. Insgesamt wurden 225 individuelle Sitzungen mit Betroffenen, 193 individuelle Sitzungen mit dem Ehepartner, 235 gemeinsame Sitzungen mit den Eheleuten und 388 Gruppensitzungen mit weiteren Verwandten der Familie oder Schwiegerfamilie abgehalten.
In 52 Fällen konnte eine Schlichtung erreicht werden. Die Überprüfung, ob die Schlichtung wirksam war, erfolgte meist telefonisch, in sechs Fällen wurden zudem Hausbesuche durchgeführt. In 67 Fällen konnten gewalttätig gewordene Partner nicht zur Einsicht bewegt werden, so dass die Betroffenen schließlich Anzeige unter Gesetz 498A (s.u.) erstatteten. 17 Betroffene wurden unterstützt, staatliche Unterstützungsleistungen auf Basis des Gewaltschutzgesetzes (s.u.) zu beantragen. In 34 Fällen benötigten die Betroffenen rechtliche Unterstützung für ihre Scheidung, die BHUMIKA organisierte.
Aufgrund erlebter Gewalt sucht eine Frau bei BHUMIKA um Hilfe. Dort wird sie betreut und über ihre Möglichkeiten und Rechte aufgeklärt. Foto: © BhumikaDie Situation vieler Betroffener hat sich durch die Arbeit von BHUMIKA maßgeblich verbessert. Einige sind der Beratungsstelle auch jetzt noch verbunden und versprachen, anderen Frauen über die Möglichkeit der Beratung durch BHUMIKA zu berichten. So auch die vierzigjährige Rani*, die einen Schönheitssalon in ihrem Haus betreibt. Ihr Ehemann ist im Immobiliengeschäft tätig, wurde jedoch durch schlechten Einfluss alkoholabhängig und begann zu spielen. Schließlich verkaufte er nach und nach den Besitz der Familie. Zu Hause wurde Rani von ihm physisch und psychisch belästigt. Letztlich wandte sie sich an die Beratungsstelle in Karimnagar und entschied nach einer ersten eigenen Sitzung, dass auch ihr Ehemann zur Beratung kommen sollte.
In der Sitzung mit dem Ehemann wurde diesem bewusst gemacht, welch schädliche Auswirkungen sein Verhalten auf seine Frau, seinen Sohn und seine Gesundheit habe. Er versprach Besserung und in der nächsten Sitzung berichtete Rani, dass er den noch vorhandenen Besitz auf sie und ihren Sohn übertragen habe, aufgehört habe zu trinken und zu spielen und dafür mehr Zeit mit seiner Familie verbringe.
Unterstützen auch Sie die wichtige Arbeit von BHUMIKA, um mehr Frauen wie Rani ein gewaltfreies Leben zu ermöglichen!
Weitere Informationen zum Gesetz 498A des indischen Strafgesetzbuches
1961 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Forderung und Zahlung einer Mitgift verbietet[2]. Nichtsdestotrotz sind Mitgiftforderungen noch heute ein weitverbreitetes Phänomen in Indien. Das indische Strafrecht wurde 1983 ergänzt und zu Gesetz 498 kam Gesetz 498A. Dieses regelt das Verhalten des Ehemannes oder seiner Verwandten gegenüber der Ehefrau wie folgt und stellt eine Zuwiderhandlung unter Strafe:
„Ehemann oder Verwandte dessen, welche eine Frau Grausamkeiten unterwerfen – Ganz gleich wer [...], eine Frau Grausamkeiten unterwirft soll bestraft werden mit Gefängnis von einer Dauer, die über drei Jahre hinausgeht sowie einer finanziellen Strafe.
Grausamkeit bedeutet
- Jedes wissentliche Verhalten welches dazu führen kann, dass die Frau Selbstmord begeht oder ihr ernsthafte Verletzungen zufügt oder eine Gefahr für ihr Leben, ihren Körper oder ihre Gesundheit (sowohl mental als auch physisch) darstellt;
- Belästigung der Frau in einer Form, dass diese Belästigung sie oder andere Personen, die mit ihr in Verbindung stehen, dazu zwingt, einem unrechtmäßigen Anspruch auf jeglichen Besitz oder wertvolle Sicherheiten [...] zuzustimmen.“[3]
Weitere Informationen zum Indischen Gewaltschutzgesetz
Das Gesetz zum Schutz der Frau vor häuslicher Gewalt (engl. Protection of Women from Domestic Violence Act) wurde 2005 verabschiedet und soll Frauen dabei helfen, sich besser vor häuslicher Gewalt schützen zu können. Neu an dem Gesetz war, dass es erstmals häusliche Gewalt definierte und dabei physische und psychische Formen von Gewalt umfasste.[4] Die Umsetzung lässt jedoch nach wie vor stark zu wünschen übrig bzw. war bis 2014 kaum existent[5]. Auch heute noch kann die Justiz in Indien nicht als geschlechtsneutral bezeichnet werden, sondern tendiert dazu, häufig zugunsten angeklagter Männer zu urteilen[6].
* Name geändert
Stand 01/2019
Quellen
[1] Bellinger, Nisha (2018) India has a sexual assault problem that only women can fix. In: The Conversation.
[2] Indian Ministry for Women and Child Development;
[3] Indiankanoon.org; eigene Übersetzung.
[4] Indian Ministry for Women and Child Development (Pdf-Datei), eigene Übersetzung
[5] Das, Ranjana (2014) Promises to keep – Implementation of PWDV Act in Odisha. Oxfam India.
[6] TERRE DES FEMMES e.V. (2018) Nari Adalats – Frauengerichte in Indien.