Woher kommen frauenfeindliche Tendenzen in einer Gesellschaft, was trägt zu ihrer Reproduktion bei und wie beeinflussen sie die lokale Gesellschaft? Diesen Fragen geht eine neue Studie von Oxfam in acht lateinamerikanischen und karibischen Ländern auf den Grund und untersucht, welche geschlechtsspezifische Rollenbilder Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 25 Jahren haben und wie diese entstehen.
Zu den untersuchten Ländern zählt auch Nicaragua. Dort arbeitet seit Jahren die TERRE DES FEMMES-Partnerorganisation Asociación Proyecto MIRIAM mit von Gewalt betroffenen Frauen, unterstützt sie rechtlich und psychologisch und bietet ihnen durch Berufsbildungskurse die Möglichkeit, finanziell unabhängiger zu werden und stärker selbstbestimmt leben zu können.
Vor allem der sogenannte machismo prägt die Gesellschaften der an der Studie beteiligten Länder - teilweise deutlich stärker, als man sich dies vorstellen mag. 84 Prozent der Befragten geben zwar an, dass Gewalt gegen Frauen ihrer Meinung nach eine Folge von Ungleichheit sei, sie sehen sich jedoch nicht selbst dafür verantwortlich, den Ist-Zustand zu verändern. Vielmehr glauben 67 Prozent der Befragten, der Staat habe die Pflicht, die Konsequenzen von männlicher Gewalt zu reduzieren.
Ernüchternde Ergebnisse fördert die Studie auch im Detail zutage:
- 40 Prozent der befragten jungen Männer geben an, einen Freund in ihrem Umfeld zu haben, der seine Freundin schlage.
- 31 Prozent der weiblichen und 40 Prozent der männlichen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren sind der Meinung, dass ein Mann Sex mit einer Frau haben dürfe, wenn diese betrunken und nicht bei Bewusstsein sei.
- 65 Prozent der männlichen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren glauben, dass eine Frau eigentlich „Ja“ meint, wenn sie „Nein“ sagt.
Die Kontrolle von Männern über Frauen bzw. die Unterordnung der Frau unter den Mann ist in einem solchen Maß sozial akzeptiert und internalisiert, dass für die meisten befragten Jugendlichen die Kontrolle des Smartphones, der sozialen Netzwerke, der realen Freundschaften und der Kleidung der Partnerin keine Formen von Gewalt darstellen. In Nicaragua und Kolumbien ist die Anzahl derjenigen, die angeben, dass ihre Freunde die Smartphones und sozialen Netzwerke ihrer Freundinnen überwachen, am höchsten.
Oxfam schreibt in der Studie auch, eine der häufigsten Beobachtungen unter jungen Menschen sei die Normalisierung männlicher Gewalt, mit der Begründung, Männer neigten von Natur aus zu Gewalttätigkeit.
So überrascht es nicht, dass 63 Prozent der Befragten im Alter von 20 bis 25 Jahren glauben, Frauen seien primär deshalb mit Männern zusammen, da sie ansonsten fürchteten, ihnen könnte etwas angetan oder sie könnten gar getötet werden. Die Furcht vor Todesdrohungen ist in der Dominikanischen Republik, Guatemala und Nicaragua besonders groß.
In ihrer Studie beschreiben die AutorInnen die Wichtigkeit von Institutionen wie Behörden, Schulen, Krankenhäuser etc. und welche Rolle sie in unserem Leben und der Reproduktion von Geschlechterrollen und Weltanschauungen spielen. Sie schreiben: “Institutionen haben die Macht uns Regeln zu diktieren und die Interessen bestimmter Gruppen zu verleugnen. Sie tragen erfolgreich dazu bei, dass sich geschlechtsbasierte Ungleichheiten institutionalisieren indem sie Mädchen und Jungen, Männer und Frauen dazu ermuntern, in von der Gesellschaft vorgeschriebene Rollen zu schlüpfen.“
Daher ist es ihrer Meinung nach besonders wichtig, dass wir unser Verhalten hinterfragen. Eine wichtige Quelle um junge Menschen zu erreichen und sie dabei zu unterstützen, ihre Gewohnheiten zu hinterfragen, spielen dabei aus AutorInnensicht die sozialen Medien.
Zudem sind auch die Legislative und Exekutive von großer Bedeutung. Während generell Fortschritte in der Region erzielt wurden, was Gesetze zum Schutz von Frauen und Mädchen anbelangt, so beobachten TERRE DES FEMMES und Asociación Proyecto MIRIAM seit geraumer Zeit mit Besorgnis die Entwicklungen in Nicaragua: das umfassende, 2012 nach jahrelangem Ringen von Frauenrechtsorganisationen eingeführte Gesetz zum Schutz von Frauen vor Gewalt wird immer weiter aufgeweicht und die Implementierung lässt ebenfalls sehr zu wünschen übrig.
Wir geben trotzdem nicht auf und arbeiten weiter hart daran, die Situation von Frauen in Nicaragua sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich zu verbessern. Die AutorInnen der Oxfam-Studie schließen mit den Worten, dass Justizbehörden weiterhin eine wichtige Rolle in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen spielten. Da die politische Lage in Nicaragua seit April 2018 kritisch und auf die Justizbehörden kaum Verlass ist, versuchen wir Mädchen und Frauen vor Ort in anderer Form zu stärken: und zwar durch Solidarität unter Frauen – eine Maßnahme, die den AutorInnen zufolge maßgeblich zur Überwindung von geschlechtsbasierter Gewalt beiträgt.
Zeigen auch Sie sich solidarisch und unterstützen Sie unsere Arbeit in Nicaragua! Spenden Sie jetzt, um gemeinsam mit uns die Arbeit von Asociación Proyecto MIRIAM in Nicaragua zu stärken!
Stand 01/2019