Bünya (2. v.l.) mit ihrer Mutter und TDF-Geschäftsführerin Christa Stolle (l.) und TDF-Vorstandsfrau Dr. Necla Kelek (r.).
Foto: © TERRE DES FEMMESIm Oktober 2015 waren die TERRE DES FEMMES Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle sowie Vorstandsfrau und Projektkoordinatorin Dr. Necla Kelek in der Türkei. Vom 7.10.- 11.10.2015 haben sie in Van unsere Partnerorganisation YAKA-KOOP besucht und an einer von ihr organisierten Versammlung teilgenommen, zu der Bürgermeister, Dorfvorsteher, Hodschas und Mitglieder des Vereins eingeladen waren. Während dieser Reise lernten sie Bünya (Name geändert) und ihre Geschichte kennen, eine bewegte Geschichte über Frauensolidarität.
Bünya ist 1997 als Tochter eines Wachmanns geboren und kommt aus einem Dorf in der Nähe von Van. Die Region befindet sich im Osten der Türkei, nahe der Grenzgebiete zu Iran und Irak. Die Stadt zählt ungefähr 400.000 EinwohnerInnen, die meisten von Ihnen kurdisch stämmig. Die Gesellschaft ist stark patriarchalisch geprägt, es herrschen traditionelle Vorstellungen von Familie und Rollenverständnis. Im Alter von 15 Jahren, nach der Mittleren Reife, nahm Bünyas Vater sie von der Schule mit der Absicht, sie bald zwangszuverheiraten. Fortan musste Bünya den ganzen Tag zuhause arbeiten: Für ihre Eltern und Geschwister kochen, die Hausarbeit erledigen und ihren behinderten Bruder vollversorgen. Hinzu kamen Vorbereitungen für ihre eigene Hochzeit, für die sie ihre Aussteuer verdienen sollte. Weil Bünyas Mutter als erstes ein behindertes Kind geboren hatte, wurde ihr von ihrem Ehemann viel Gewalt angetan.
Das Prinzip der „Ehre“ spielt in Van nach wie vor eine große Rolle. Oft wird die Ehre des Mannes am Verhalten und den Leistungen seiner Frau gemessen. Bünya haben diese Erfahrungen Angst gemacht: „Ich wusste, dass ich irgendwann genauso eine Ehe wie meine Mutter führen würde, vielleicht sogar schlimmer. (...) Wenn ich mich nachts auf das Kissen gelegt habe, sah ich immer diese Welt, dass ich genauso leben werde wie meine Mutter“, erzählt das Mädchen. Bünya hatte schon seit langer Zeit gespürt, dass es ein Unrecht ist, wie sie lebt. „Ich habe sehr schnell gemerkt, als ich zur Schule gegangen bin, dass ich verschiedene Begabungen habe. Ich kann zum Beispiel aus dem Nichts einen Liedtext schreiben, ich kann Gedichte schreiben, ich kann zeichnen, ich kann sehr gut tanzen. Ich habe so viele Begabungen, davon habe ich schon immer meinem Vater erzählt: Wenn du mich zum Gymnasium lässt, dann kann ich eines davon verwirklichen und dann geht es vielleicht uns allen besser. Aber er sagte immer nur, wir haben kein Geld für dich, das geht nicht, das schaffen wir nicht.“ Manchmal sprach sie ihre Eltern darauf an und bat sie, das Gymnasium besuchen zu dürfen. Doch ihre Eltern konnten ihren Wunsch nicht verstehen. Der Vater winkte ab, dazu sei kein Geld da.
Schließlich erfuhr Bünya davon, dass die Frauenorganisation YAKA-KOOP in ihrem Dorf ein Seminar durchführte und wollte diese Chance unbedingt ergreifen. Aufgrund ihrer großen Arbeitsbelastung im Elternhaus konnte sie jedoch erst gegen Ende hin dazukommen. „Und ich dachte, das war jetzt eine verpasste Chance für mich.“ Gülmay Gümüshan, die Leiterin von YAKA-KOOP, gab Bünya jedoch eine Karte mit ihrer Telefonnummer mit – sie solle anrufen, falls sie jemanden zum Reden brauche. Das tat das Mädchen schon bald darauf und erzählte von der drohenden Zwangsheirat sowie ihrem Traum, wieder die Schule zu besuchen. Gülmay Gümüshan machte Bünya Mut und klärte sie über ihre Rechte auf: „Du bist noch jung – was du zuhause erlebst, ist Kinderarbeit und deshalb verboten.“
Das Schwierigste für Bünya war, ihren Vater zu überzeugen. Zusammen mit Gülmay Gümüshan sprach sie sehr vorsichtig und behutsam mit ihm und auch mit dem Dorfvorsteher von Van. Auf diese Weise wollte die Leiterin von YAKA-KOOP die Zwangsheirat abwenden und Bünya eine Rückkehr in die Schule ermöglichen. YAKA-KOOP bot der Familie an, das Schulgeld zu übernehmen. Die Bemühungen zeigten Erfolg: Der Vater und auch der Dorfvorsteher waren einverstanden, dass Bünya ein Fernstudium aufnimmt. Dieser Rückhalt ihrer Familie ist für Bünya sehr wichtig: „Jetzt begleitet er mich eigentlich auf meinem Weg und dafür bin ich auch dankbar.“
Bünya mit ihrer kleinen Schwester.
Foto: © TERRE DES FEMMESSeit einem Jahr absolviert Bünya nun ein Fernstudium in Sozialer Arbeit, was mit ihrem Abschluss der Mittleren Reife möglich ist. Sie macht zu Hause ihre Schulaufgaben, schickt sie zurück und muss am Ende eine Prüfung machen. Dies ermöglicht ihr, weiter bei ihrer Familie zu bleiben und sich am Haushalt zu beteiligen. Somit ist sie auch in der Nähe ihrer jüngeren Schwester, die in ihr ein Vorbild sieht. Ihr behinderter Bruder ist inzwischen gestorben. Ihre Mutter und sie teilen sich die Hausarbeit, damit genug Zeit zum lernen und studieren bleibt. In Zukunft möchte sie in der Lage sein, die Familie zu ernähren, da ihr Vater wohl bald nicht mehr arbeiten können wird. Außerdem möchte sie etwas von dem zurückgeben, was sie bekommen hat und Mädchen helfen, die auch in die Schule gehen wollen. „Ich möchte immer wieder betonen, seit ich diesen Kontakt zu YAKA-KOOP aufgenommen habe, hat sich mein Leben verändert. Das hört sich vielleicht nicht so groß an, aber es hat mein Leben vollkommen verändert. Seitdem geht es mir innerlich so, dass ich leicht bin, und dass ich denke, dass ich ganz viel erreichen kann.“
YAKA-KOOP (S.S. Yasam Kadin Cevre Kültür ve isletme Kooperatifi, engl: Empowerment of women and women’s NGO Project) wurde 2002 von 25 Frauen als erste Frauenorganisation in Van gegründet. Sie ist eine von wenigen politisch unabhängigen Organisationen in der Türkei. Durch die kontinuierliche Arbeit seit der Gründung der Organisation hat YAKA-KOOP eine gute Vertrauensbasis zu den Menschen der Region aufbauen können und ist inzwischen ein akzeptierter Verhandlungspartner für viele PolitkerInnen. TERRE DES FEMMES unterstützt YAKA-KOOP seit 2014.
Stand: 03/2016