Interview mit Safiata Zongo: „Wenn man einen großen Dorn aus dem Fuß gezogen bekommt, kann man danach wieder aufrecht gehen...“

Frau Zongo beim Interview am 12. Juni 2015. Foto: © Irma BergknechtFrau Zongo beim Interview am 12. Juni 2015.
Foto: © Irma Bergknecht
Frau Safiata Zongo ist 51 Jahre und lebt in Ouagadougou (Burkina Faso) in der Kommune Toukin. 2014 konnte bei ihr Dank der Unterstützung von TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V. (TDF) und der Association Bangr Nooma (ABN) eine sogenannte Reperationsoperation im Genitalbereich durchgeführt werden. In einem Interview erzählt uns Frau Zongo von Ihrer Beschneidung, von der Geburt ihrer Kinder, von ihren Schmerzen und von dem Glück auf ABN in Ouagadougou gestoßen zu sein. „Das hat mein Leben verändert“.

Wenn mutige Frauen erzählen

Frau Zongo sitzt beim Interview auf einem hellblauen Plastikstuhl. Ihre Hände liegen ruhig in ihrem Schoß und ihre Augen schauen ab und zu auf. Wir sitzen unter einem Mangobaum und ausnahmsweise sind heute nur 40˚C. Wir treffen uns im Rahmen unserer Projektbesuchsreise, die wir vom 05.-12.06.2015 für TDF in Burkina Faso machen, um unsere Partnerorganisation Bangr Nooma zu besuchen. Frau Zongo hatten wir schon einen Tag vorher gesehen, als wir in Toukin waren und sie davon gehört hatte, dass TDF da ist, da wollte sie uns die Hand geben und sich aufrichtig bedanken. Jetzt bei dem Treffen zum Interview ist es an uns, Frau Zongo zu danken, dafür, dass sie sich die Zeit nimmt für ein Gespräch mit uns. Doch sie winkt ab, sie will ihre Geschichte erzählen. Und so fängt sie langsam an...

Frau Zongo ist in zweiter Ehe verheiratet und spricht sehr warmherzig von Ihrem derzeitigen Mann, mit dem sie drei Kinder hat. Er war es sogar, der sie im letzten Jahr zur Operation begleitet hatte. Rakieta Poyga, die Gründerin von ABN bestätigt uns, dass dies eine absolute Ausnahme für einen Mann in Burkina Faso sei. Frau Zongo berichtet weiter: ihre Tochter mit 14 Jahren ist die jüngste ihrer Kinder, einer der beiden älteren Söhne ist mittlerweile Polizist. Man merkt sofort, dass sie auf ihre Kinder stolz ist. Insgesamt sieben Kinder hat sie. Aber sie erzählt nur wenig von ihren vier Kindern aus erster Ehe. Als sie zwei Jahre alt war, wurde sie einem Mann versprochen und lebte von ihrem 5. Lebensjahr an in dem Haus Ihres zukünftigen Mannes. Mit 17 Jahren, ohne jemals eine Schule besucht zu haben, wurde sie verheiratet. Die Ehe verlief unglücklich und als ihr viertes Kind noch ganz klein war, floh sie aus dem Hause ihres Mannes und musste ihre anderen drei Kinder zurücklassen.

Frau Zongo war ungefähr drei Jahre alt, als sie selbst und ihre Schwester beschnitten wurden. Ihre Schwester starb bei der Beschneidung. Frau Zongo selbst musste kurze Zeit später noch ein weiteres Mal beschnitten werden, da es viele Komplikationen bei der ersten Beschneidung gab. Die körperlichen Probleme wurden immer gravierender, als sie ihr erstes Kind zur Welt brachte. Bei der ersten Geburt wurde ihre Vagina mit einem unreinen Fingernagel geöffnet, so dass ein Darmriss entstand, welcher nach der Geburt nicht wieder vernäht wurde, und somit auch nicht richtig verheilte. Diese Prozedur verlief bei allen Geburten ähnlich und die Schmerzen und die Probleme wurden immer größer. Sie hatte große Schmerzen beim Urinieren und bei der Darmentleerung, was soweit ging, dass der Darm bei jedem Toilettengang zum Teil heraus gedrückt wurde. Nicht nur, dass sie unter den permanenten Schmerzen zu leiden hatte. Sie schämte sich auch dafür, dass überall wo sie saß, nasse Flecken zurückblieben. Es belastete immer mehr ihr alltägliches Leben. Frau Zongo war lange Zeit berufstätig. Zuhause hat sie Teigbällchen gebacken und belieferte auf dem Fahrrad ihre Ware an Bäckereien. Leider wurden ihre körperlichen Schmerzen und der Kontrollverlust über ihren Genital- und Afterbereich so groß, dass Sie ihre Arbeit aufgeben musste. Sie verlor jeglichen Lebensmut.

„Wo Schmerzen sind, da ist Gott, um zu helfen“

... das ist ein Sprichwort in Burkina Faso, so erzählt sie uns weiter. Denn vor über einem Jahr lernte Frau Zongo ABN kennen, Rakieta Poyga und die Animateurs und Animatrices der Association Bangr Nooma. Sie verstand zum ersten Mal, dass sie nicht alleine war. Sie war zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt und litt seit 47 Jahren unter den schmerzhaften Folgen der Beschneidung. Erst traute sie sich nicht, bei den Diskussionsrunden mit ABN über sich selbst zu erzählen und gab an, dass Sie eine Frau kenne, der es nicht gut ginge und die das Problem habe, welches in Wirklichkeit sie selbst hatte. Als sie mehr und mehr Vertrauen zu den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von ABN fassen konnte, sprach Sie offen über ihre gesundheitlichen Probleme und Schmerzen. Über ABN ist sie in Kontakt gekommen mit dem Gynäkologen Prof. Michel Akotionga, der seit vielen Jahren bei Frauen, wie bei Frau Zongo, Reparationsoperationen durchführt. Dies tut er ehrenamtlich, damit die Frauen, die über ABN zu ihm kommen, nicht zu hohe Kosten auf sich nehmen müssen. In einer Voruntersuchung hat er sich zunächst ein Bild davon gemacht, ob Frau Zongo mit einem operativen Eingriff überhaupt geholfen werden könne. Rakieta Poyga und ihr Team unterstützen die Betroffenen bei allen Besuchen und lassen sich vor dem operativen Eingriff auch eine Bestätigung unterschreiben. Letztendlich ging dann alles ganz schnell und einfach: Das Team von ABN brachte Frau Zongo in die Privatklinik von Prof. Michel Akotionga. Ihr Ehemann und zwei Söhne warteten am Tag der Operation vor dem Klinikgebäude.  Es lief alles gut und...

Wenn man seine Freude nicht in Worte fassen kann

... heute ist Frau Zongo gesund, bis auf ihre Bronchitis, welche sie wohl schon länger mit sich herum trägt. Sie ist unglaublich dankbar, sie ist dankbar dafür, dass es Organisationen wie TDF und ABN gibt, die sich wirklich um die Frauen kümmern. Sie empfindet Dankbarkeit für das Glück, welches sie hatte. Heute setzt sich Frau Zongo selbst dafür ein, dass kein Mädchen mehr unter den Qualen und Folgen von weiblicher Genitalverstümmelung leiden muss. Durch die Aufklärungsarbeit der Animateurs und Animatrices hat ihr Leben eine neue Richtung genommen und sie ist durch die Arbeit weiser geworden.

Ihre Töchter sind nicht beschnitten und heute sind sie, wie jeden Tag, in der Schule.

Frau Zongo bedankt sich immer wieder bei uns, bei TDF, bei ABN.

Und am Ende – fehlen uns die Worte.

(v.r.n.l.) Renate Staudenmeyer, Frau Zongo, Mme Thombiano, Rakieta Poyga u.a. als Frau Zongo auf uns zukam, um sich zu bedanken. Foto: © Irma Bergknecht (v.r.n.l.) Renate Staudenmeyer, Frau Zongo, Mme Thombiano, Rakieta Poyga u.a. als Frau Zongo auf uns zukam, um sich zu bedanken.
Foto: © Irma Bergknecht

 

 

Irma Bergknecht (TDF-Vorstand)
Renate Staudenmeyer (Referat Internationale Zusammenarbeit)

(06/2015)