In der Justiz läuft im Umgang mit gewaltbetroffenen Frauen in der Praxis noch immer einiges schief. Häufig wird Betroffenen nicht geglaubt und „Victim Blaming“ ist leider auch keine Seltenheit. Besonders Partnerschaftsgewalt gegen Frauen wird häufig nicht ernst genug genommen. Wie genau sich das äußern kann, wird in dem Gerichtsverfahren gegen den Ex-Profiboxer “Tom Schwarz” vor dem Amtsgericht Burg von November 2021 deutlich.
Der Fall „Tom Schwarz“
Tom Schwarz, Ex-Profi Boxer, schlug seiner Ex-Freundin Tessa Schimschar am 31. Mai 2020 mit der Faust ins Gesicht, was zu einem dreifachen Kieferbruch führte und eine sehr aufwendige Rekonstruktions-Operation nach sich zog. Das Verfahren wurde gegen eine Geldbuße von 2.500€ eingestellt.
Der Tathergang
Tessa Schimschar wurde von ihrem Ex vor einer Pizzeria nach einem Gespräch zwischen ihr und der neuen Freundin von Tom Schwarz zunächst zu Boden gestoßen. Dabei verletzte sie sich an ihrer Hand und ihre Schuhe gingen kaputt. Die Betroffene folgte dem Boxer zu seinem Auto und wurde dann brutal ins Gesicht geschlagen.
ZeugInnen beobachteten die Tat. Eine Zeugin, die vor Gericht besonders viel Gehör bekam, gibt der Betroffenen Mitschuld an dem Ganzen. Außerdem gab sie vor Gericht an, dass der Schlag gegen Tessa mit flacher Hand ausgeführt wurde. Das gerichtsmedizinische Gutachten besagt jedoch, dass der Schlag in Anbetracht der Verletzungen mit der Faust ausgeführt worden sein muss.
In vielen Aspekten widersprach sich die Zeugin und machte unklare Aussagen. Zum Beispiel blieb ungeklärt, aus welcher Perspektive sie die Tat beobachtet haben soll und ob es eine verbale Auseinandersetzung zwischen Täter und Opfer gab.
Sie behauptete zudem, dass Tessa Schimschar auch zugeschlagen und getreten hätte. Die Gerichtsmedizin hielt jedoch fest, dass Tessa Schimschar keine Versehrtheiten an Füßen und Fingernägeln hatte, die auf Tritte und Schläge ihrerseits hinweisen.
Der Vorwurf gegen Tom Schwarz
Tom Schwarz wurde in Folge dieses Vorfalls wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Diese liegt dann vor, wenn sich das Opfer in Folge der Tat in einer lebensbedrohlichen Situation befindet oder wenn eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug ins Spiel kommt. Für gefährliche Körperverletzung drohen mindestens 6 Monate und bis zu 10 Jahre Haft.
Bei leichter Körperverletzung verlangt das Gesetz eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Kritik am juristischen Umgang mit dem Fall
Die Verwendung eines Werkzeugs wirkt sich in Bezug auf Vorwürfe der Körperverletzung strafverschärfend aus. Im Fall Tom Schwarz sah das Gericht jedoch davon ab, dass ein Werkzeug verwendet wurde. Diese Bewertung wurde unter anderem von anderen BoxerInnen kritisiert. Da Tom Schwarz Ex-Profi-Boxer ist, wisse er was für eine Kraft sich hinter seiner Faust befindet und wie er sie benutzen kann, wie etwa Ex-Weltmeisterin im Boxen, Regina Halmich, weiß: “Wenn ein 1,97-Meter-Hüne eine 1,62 große Frau verprügelt? Wenn ein Boxer zuhaut, der genau weiß, wie er mit seiner Faust andere schwer verletzt? (…) Herr Richter und Frau Staatsanwältin, ist Ihnen eigentlich klar, dass das Opfer auch hätte sterben können? Die Frau hat einfach nur Glück gehabt” (BILD).
Statt eine schwere Körperverletzung festzustellen, wurde der Fall eingestellt und lediglich eine Geldstrafe verhängt. Geldstrafen werden üblicherweise bei leichten Verletzungen und Erstbegehung eines Täters verhängt. Die Verletzungen, welche Tessa Schimschar erleiden musste, sind jedoch in keinem Fall leicht. Auch wenn der Schlag nicht lebensbedrohlich war, musste die Betroffene gravierende körperliche und psychische Folgen durchmachen. Zudem existieren Vorwürfe, wonach es sich bei dem Vorfall gegen Tessa Schimschar keinesfalls um eine Erstbegehung handelte. Annemarie Eilfeld, ebenfalls eine Ex-Freundin des Angeklagten, gibt an, dass auch sie Gewalt in der Beziehung erlebte. Auch kam es nur einen Monat nach der Tat zu einem erneuten Vorfall bei dem Schwarz nach einem Autounfall handgreiflich wurde. Gegen ihn wurde in diesem Zusammenhang Anklage wegen vorsätzlicher einfacher Körperverletzung erhoben. In diesem Fall gab er seine Schuld zu und kam erneut nur mit einer Geldstrafe davon.
Das Verfahren wegen schwerer Körperverletzung gegen Tessa Schimschar wurde letztlich vom Amtsgericht Burg eingestellt. Dies ist fatal, denn der gewalttätige Ex-Profi-Boxer ist nun nicht vorbestraft. Diese Tatsache könnte sich strafmildernd auf zukünftige Prozesse auswirken. Die Einstellung des Verfahrens verharmlost die Tat und die Gewalt, die von diesem Täter erwiesenermaßen ausgeht.
Der Richter rechtfertigte seine Entscheidung in diesem Verfahren mit den Worten: "Es lag ein Fehlverhalten auf beiden Seiten vor. Er ist eben der Meister der fliegenden Fäuste und nicht der Meister des gesprochenen Wortes. Der Schlag hätte anders ausgeführt werden können und müssen und als Profiboxer muss man in der Lage sein, das dosieren zu können. Aber auch die Ex-Freundin hat sich nicht mit Ruhm bekleckert." Diese Aussage ist aus mehreren Gründen problematisch: Gerade, weil Tom Schwarz Profi Boxer ist, muss er sich bewusst gewesen sein, was er mit seiner Faust anrichten kann. Er hätte niemals zuschlagen dürfen und ganz besonders nicht, weil er seine Faust als Werkzeug benutzen kann und damit erheblichen Schaden anrichten kann.
Als „Fehlverhalten“ beschreibt der Richter, dass Tessa ihrem Ex, nachdem sie zu Boden geschubst wurde, noch zum Auto folgte und sich verbal wehrte. Mit dieser Aussage suggeriert Richter, dass Frauen mit Gewalt von ihrem (Ex)- Partner rechnen müssten oder sich nicht wehren sollten und dass Tessa Schimschar einen Teil der Schuld trägt. Eine verbale Konfrontation nach einer physischen Auseinandersetzung sollte keine solche Bewertung eines Richters nach sich ziehen. Eine solche Täter-Opfer-Umkehr („Victim Blaming“) in einem Gerichtssaal ist unangebracht. Das Fehlverhalten lag in diesem Fall laut Aussage von Tessa Schimschar und gemäß den Auswertungen der Gerichtsmedizin auf der Seite von Tom Schwarz und keinesfalls gleichermaßen auf beiden Seiten.
Zudem ist auffällig, dass keine weiteren ZeugInnen oder ÄrztInnen vor Gericht hinzugezogen wurden. Auch weitere anwesende Personen wurden vor Gericht nicht befragt und das, obwohl die Aussagen der einzigen Zeugin, wie oben beschrieben, teilweise unklar waren.
Vorurteile und Stereotype zu geschlechtsspezifischer Gewalt
Dieser Fall verdeutlicht, wie notwendig eine Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischer Gewalt und stereotypen Vorstellungen rund um dieses Thema ist. Leider sind diese in der Justiz noch oft anzutreffen, wie auch die Berliner Strafrechtlerin Christina Clemm attestiert (SWR)[1]. Sie betont in der SWR-Reportage „Häusliche Gewalt- Warum nimmt die Justiz Fälle oft nicht ernst?“, wie fatal eine Normalisierung von Gewalt zwischen (Ex-)Partnern ist: "Es (eine Normalisierung bzw. Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen) ist natürlich gesellschaftlich genau das falsche Zeichen. Man muss sagen: Partnerschaftsgewalt ist es etwas, was die Gesellschaft an sich nicht duldet, und das muss im öffentlichen Interesse sein. Und das, was dort in diesem Bescheid steht, ist ja so: 'Das geht uns nichts an, das ist eure Privatangelegenheit, macht das unter euch aus.' Und ich denke, gesellschaftlich muss man eben zeigen, wir dulden das nicht. Wir verfolgen so etwas. Wir nehmen das nicht hin."
Diesen Standpunkt zu vertreten, sollte sich die Justiz zur Aufgabe machen. TERRE DES FEMMES fordert verpflichtende Schulungen für Justiz und Polizei deutschlandweit zu Gewalt gegen Frauen. Wichtig ist hier die Aufklärung zu Gewaltmythen und Geschlechterstereotype und deren Einfluss auf Vernehmungen, Ermittlungen und Prozesse. Derartige Angebote sind zwar schon vorhanden, sind allerdings freiwillig und werden deshalb häufig nicht wahrgenommen. Deswegen wäre es notwendig, diese in einem vertretbaren Maß verpflichtend einzuführen.
Nicht nur in der Justiz, sondern in der gesamten Gesellschaft ist es wichtig, zu Stereotypen und Vorurteilen aufzuklären. Partnerschaftsgewalt muss ernst genommen werden und von Gesellschaft, Familien, Justiz und Polizei nicht länger als Kleinigkeit oder Privatsache abgestempelt werden.
Stand: Dezember 2021
[1] https://www.swr.de/report/haeusliche-gewalt-warum-nimmt-die-justiz-faelle-oft-nicht-ernst/text-des-beitrags-privatsache-warum-nimmt-die-justiz-faelle-von-haeuslicher-gewalt-oft-nicht-ernst/-/id=233454/did=24834026/mpdid=24978262/nid=233454/6wuzx8/index.html