Nicht nur die in Syrien lebenden Frauen sind durch den Krieg zusammengebrochen, sondern auch die, die sich auf der Flucht befinden.
Es handelt sich um Frauen, die sich nicht von anderen Frauen auf dieser Welt unterscheiden. Die von einem schönen Leben und einer glücklichen Zukunft mit ihrer zukünftigen Familie träumen. Durch den Krieg in Syrien 2011 verloren sie ihre Träume und brachen zusammen. Sie ließen ihre Väter, Mütter, Männer, Söhne, Töchter, Familien und Wohnungen zurück und flohen. Unter dieser massiv belastenden Situation versuchten diese Frauen ein sicheres Leben im Zufluchtsland zu finden. In der Hoffnung, in Beirut ein neues besseres Leben anzufangen glaubten sie, den Terror und die Zerstörung des Krieges hinter sich lassen zu können. Sie wurden mit dem Versprechen, dass sie der sicheren Arbeit als Reinigungskraft oder Kellnerin im privaten Sektor nachgehen können in den Libanon gelockt. Als sie im Libanon ankamen wurden ihnen alle Ausweisdokumente und Mobiltelefone abgenommen, so dass der Kontakt zur Außenwelt komplett abgebrochen war. Dort wartete ein anderes Schicksal auf sie als gedacht. Zusätzlich zu ihrem Schmerz und der traumatisierenden Erlebnisse durch den Krieg, war die sexuelle Ausbeutung und die Gefangenschaft durch die Frauenhändler die Hölle für sie. Die Frauen hatten schnell geahnt, dass sie in die Gefangenschaft der Menschenhändler gefallen waren. Bei Wiederstand drohte man ihnen mit dem Tod.
Foto: © kallejipp - photocase.deDie #MeToo-Kampagne hat es geschafft, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass sexualisierte Gewalt leider trauriger Alltag für viele Frauen weltweit ist. Diese mediale Aufmerksamkeit haben Frauen, die auf der Flucht massiven Gefahren der sexuellen Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt sind, leider bislang nicht.
Circa ein Drittel aller Geflüchteten in Deutschland sind Frauen. Frauen, die laut einer Studie der Charité, nicht nur Gewalt in ihren Herkunftsländern in Form von Krieg oder geschlechtsspezifischer Gewalt erfahren, sondern auf der Flucht Gefahren der sexuellen Ausbeutung in der Prostitution, und in Deutschland und anderen europäischen Aufnahmeländern sexuellen Übergriffen in den Unterkünften ausgeliefert sein können.
Frauen auf der Flucht sind prozentual stärker von diesem Missstand betroffen.[i] Vor allem junge Frauen sind sehr stark von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Mehrfachdiskriminierung findet in Bezug auf ihre Herkunft, ihre Religionszugehörigkeit, ihr Geschlecht und andere Merkmale statt.
Vor fast zwei Jahren deckte die Polizei im Libanon nördlich von Beirut, in Jounieh, dass bis dato größte Menschenhandelsnetzwerk vor Ort auf. In einem zweistöckigen baufälligen Haus, das sich „Shi Morris“ nannte, wurden 75, überwiegend syrische geflüchtete Frauen, festgehalten und zur Prostitution gezwungen.
Einige der Frauen kamen zu Fuß über die syrisch-libanesische Grenze, andere reisten mit „Künstler“-Visa ein, die ihnen erlaubte, als Performerin oder Bardame zu arbeiten. Nach ihrer Ankunft wurden sie abgefangen, eingesperrt und für 1.000 bis 1.500 US-Dollar verkauft.
Die Fenster und Balkontüren des Hauses waren abgeriegelt und verdunkelt. Die Gefangenen erlitten Hauterkrankungen wegen mangelnden Sonnenlichts und Geschlechtserkrankungen wegen des ungeschützten sexuellen Verkehrs. 200 Zwangsabtreibungen führte ein Arzt bei den 75 Frauen und Mädchen in vier Jahren durch.
Die 75 Frauen, davon viele minderjährig, mussten bis zu 20 Stunden am Tag für den Sexkauf zur Verfügung stehen. Sie begannen morgens um zehn Uhr und beendeten ihre Schicht erst am nächsten Morgen um sechs Uhr. Zwischen zehn bis 20-mal am Tag wurden sie vergewaltigt und an manchen Tagen mussten sie bis zu 40 Männer empfangen. Das Geld, 30 bis 70 US-Dollar pro Besuch, sahen sie nie. Wenn sie an einem Tag nicht genug verdienten wurden sie durch das Netzwerk gefoltert und erneut vergewaltigt.
Außerhalb des Hauses sorgten Wachen dafür, dass der Frauenhandel innerhalb des Hauses nicht aufflog. Innerhalb versorgten die angestellten Frauen des Netzwerkes die Mädchen und prüften ob diese „erotisch“ genug auftraten oder ausreichend geschminkt waren. Entsprachen sie nicht den Ansprüchen, drohte ihnen erneut Gewalt durch die Wachen.
An Ostern 2016 gelang es acht Frauen die Wachen zu übermannen. Vier der Frauen flohen mit dem Taxi in die nächste Stadt und informierten die Polizei.
Das Schicksal dieser Frauen ist kein Einzelfall. Viele Frauen auf der Flucht sind diesen Gefahren ausgesetzt, und dennoch erhalten diese Fälle in den westlichen Ländern, die sich für Menschenrechte einsetzen, kaum mediale Aufmerksamkeit. Bis heute hat sich an der Situation von Frauen auf der Flucht nur sehr wenig verbessert. Tagtäglich müssen sie sich dieser Gefahren auf dem Weg in ein geschützteres Leben stellen und geraten immer wieder in die Hände der Menschenhändler. Doch der Rest der Welt schaut weg.
In den meisten nahöstlichen Staaten und der Region des Mittelmeers gibt es sehr wenige bis keine Organisationen, die die Rechte geflüchteter Frauen schützen. Sie haben mit Gesetzen zu kämpfen, die sie bestrafen anstatt zu schützen. Sie werden mit sexualisierter Gewalt durch Beamte konfrontiert und leben mit der ständigen Angst abgeschoben zu werden, da sie ohne Papiere keinen legalen Aufenthaltstitel haben.
Die Gesetzeslage im Libanon bedeutet: Frauen die in die Prostitution gezwungen werden, machen sich genauso strafbar wie Menschenhändler bzw. Zuhälter. Mit dem Wissen, dass die meisten Frauen sich nicht zur Polizei trauen, nutzen Menschenhändler die Situation aus und betreiben auf diese Weise ihr Geschäft.
TERRE DES FEMMES fordert, dass die Strafen für Menschenhändler und Zuhälter verschärft werden und Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, straffrei bleiben.
Frauen sollen in den arabischen Ländern, wie z.B. Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten durch die Gesetze besser gestärkt und geschützt werden, sodass sie nichts zu befürchten haben, wenn sie die Straftat der Polizei melden.
Wir fordern mehr öffentliche Aufmerksamkeit für Fälle wie diese. Und mehr Schutz für Frauen, die Betroffene von Menschenhandel werden.
Dr. Abir Alhaj Mawas
[i] Weder im englischen noch deutschen Raum gibt es Studien dazu. Dr. Nawal Al-Ajmi Al-Ajimi, eine wissenschaftliche Expertin in Menschenrechten, Migrationspolitik, Frauenrechte; Kinderrechte, Krieg und Frieden in den internationalen Abkommen an der Universität Oldenburg, Deutschland, und der Universität Al-Khartoum, Sudan, erforschte die Lage von Frauen auf der Flucht und der Gewalterfahrungen aufgrund ihres Geschlechts. http://swnsyria.org/?p=1049
Stand: 02/2018