Südsudan

Fallbeispiel

Akech ist 16 Jahre alt. Mit 14 Jahren musste sie die Schule abbrechen, weil ihr Onkel die Gebühren nicht mehr zahlen wollte - mit der Begründung, dass sie schon zu alt für die Schule sei. Dabei liebte Akech die Schule. Sie träumte davon, Krankenschwester zu werden. Stattdessen sollte sie einen 50 Jahre alten Mann heiraten, weil dieser ihrem Onkel 75 Kühe als Brautgeld versprochen hatte. Akech, die sich gegen die Verheiratung wehrte, wurde der Beschmutzung der Familienehre bezichtigt und von ihrem Cousin gewaltsam in das Haus des Bräutigams gebracht. Kurze Zeit darauf floh Akech aus dem Haus ihres Mannes und suchte Schutz bei einer Freundin. Allerdings wurde sie von ihrem Onkel ausfindig gemacht, zur Polizei gebracht und musste als Erziehungsmaßnahme eine Nacht im Gefängnis verbringen. Am nächsten Tag wurde sie von ihrem Cousin abgeholt, brutal zusammengeschlagen und wieder in das Haus ihres Mannes gebracht. Seitdem hat Akech keinen Fluchtversuch mehr unternommen.[i]

Statistik

  • Bevölkerung: 11,7 Millionen[ii]
  • Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (Wohlstandsindikator, der die Dimensionen Bildungsindex, Lebensstandard und -erwartung einbezieht): aufgelistet, aber nicht eingestuft. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt
  • 75% der Menschen sind AnalphabetInnen[iii]
  • Schätzungen von UNICEF zufolge haben etwa 70% der Kinder im Alter zwischen 6 und 17 Jahren nie die Schule besucht[iv]

Landesüberblick

Der Südsudan wurde 2011 zu einem unabhängigen Staat erklärt und vereint 60 verschiedene Ethnien sowie 80 unterschiedliche Sprachen. Die Bevölkerung besteht mehrheitlich aus Christen, es gibt allerdings auch einige Muslime und Animisten[v]. Etwa 83% der Menschen leben in ländlichen Gebieten, wo die Viehzucht eine essenzielle Rolle einnimmt. Des Weiteren setzt sich die Bevölkerung prozentual mehr aus Frauen als aus Männern zusammen (52% zu 48%).[vi]

Um der hohen AnalphabetInnquote entgegenzuwirken, wurde im Südsudan ein alternatives Schulsystem eingeführt. Dadurch wurde Jungen und Mädchen, die sich den Besuch einer Schule nicht leisten konnten oder diese vorzeitig verlassen mussten, nachträglich eine Schulbildung ermöglicht. Insbesondere schwangere Mädchen und Mütter nehmen dieses Angebot in Anspruch. 2011 haben nahezu 70.000 Schülerinnen durch diese Maßnahme die Schule besucht.[vii]

Vorkommen

Der Südsudan hat eine der höchsten Raten an Frühehen weltweit. 52% der Mädchen heiraten bis zu ihrem 18. Geburtstag, 9% sogar bevor sie 15 Jahre alt sind.[viii] Laut der Studie „ South Sudan Household Health Survey“ 2006 sind beinahe die Hälfte aller Mädchen des Südsudan zwischen 15 und 19 Jahren verheiratet. Zudem hat der Südsudan die höchste Müttersterberate weltweit. Schätzungen zufolge sterben von 100.000 Mädchen und Frauen nahezu 2.050 bei der Geburt.[ix]

Beweggründe

Die südsudanesische Gesellschaft ist stark patriarchalisch geprägt. Frauen unterliegen den Männern und dürfen keinerlei Entscheidung ohne die Zustimmung eines Mannes treffen. Dies trifft auch auf die Wahl des Ehemannes zu. Die meisten Mädchen müssen einen Mann heiraten, den die Familie ausgesucht hat, und der deutlich älter ist als sie selbst. Ein Abweichen von diesen Strukturen hat Gewalt und im schlimmsten Fall den Tod als Konsequenz.

Der wichtigste Grund für eine Frühehe im Südsudan ist das Brautgeld, das die Familie der Braut erhält. Meistens wird die Tochter nicht für Geld oder Gold, sondern für Vieh an den Bräutigam übergeben. Dadurch werden arme Familien in ökonomischer Sicht nachhaltig entlastet. Zudem soll das Mädchen durch eine Frühehe vor vorehelichem Geschlechtsverkehr und ungewollter Schwangerschaft geschützt werden, um so einer Beschmutzung der vermeintlichen Familienehre vorzubeugen. Darüber hinaus würde durch ein „Fehlverhalten“ der Tochter die Höhe des Brautpreises sinken. Hinzu kommt, dass das Brautgeld niedriger ausfällt, je älter ein Mädchen verheiratet wird. Oftmals ist die Frühehe auch die einzige Hoffnung der Familien, ihren Töchtern ein besseres Leben zu ermöglichen.[x]

Gesetzliche Lage

Der Schutz von Kindern vor Diskriminierungen, Gewalt und Frühehen ist im Child Act aus dem Jahr 2008 als auch in der neuen südsudanesischen Verfassung seit 2011 rechtlich verankert. Auch der Brautraub ist nach dem Strafgesetzbuch gesetzlich verboten. Allerdings gibt es im Südsudan kein offizielles Mindestheiratsalter, sodass diese Gesetze in der Praxis kaum umgesetzt oder strafrechtlich verfolgt werden. Zudem verhindert auch das Gewohnheitsrecht einen angemessenen Schutz, da Frühehen zu den Traditionen des Südsudan gehören und dementsprechend über Generationen weitergeführt werden.

Auch eine Scheidung ist im Südsudan sehr problematisch. Laut dem Gewohnheitsrecht ist diese nämlich erst dann zulässig, wenn das gesamte Brautgeld, das zu Beginn an die Familie der Braut gezahlt worden ist, an die Familie des Bräutigams zurückgezahlt wird. Da das Brautgeld allerdings oftmals innerhalb der Familie aufgeteilt wird oder die Familien die nötigen Mittel zur Erstattung selten aufbringen können, müssen die Mädchen und Frauen lebenslang unter dem Reglement ihrer Ehemänner bleiben. Sollte eine Frau dennoch die Scheidung einreichen, kann sie des Ehebruchs bezichtigt werden und im schlimmsten Fall eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren erhalten.[xi]  

Interventionsbeispiele

  • Seit 2013 wird der 16. Juni im Südsudan und auch in vielen anderen afrikanischen Ländern als „Tag des afrikanischen Kindes“ gefeiert. In Zusammenarbeit mit UNICEF und den zuständigen Ministerien wird jährlich auf die Missstände und Probleme von afrikanischen Kindern, wie z.B. Frühehen, aufmerksam gemacht.[xii]
  • Viele Mädchen im Südsudan werden schon im Alter von 12 oder 13 zur Ehe gezwungen, weil das Brautgeld dann noch sehr hoch ist. Je älter die Tochter verheiratet wird, desto geringer fällt das Brautgeld aus. Südsudanesische Mädchen fordern daher eine gesetzliche Regelung, in der die maximale Höhe des Brautgeldes festgelegt wird, um die Verheiratung von Mädchen unter 18 Jahren zu reduzieren.[xiii]

 

Quellen:


[i] https://www.hrw.org/report/2013/03/07/old-man-can-feed-us-you-will-marry-him/child-and-forced-marriage-south-sudan

[ii] http://data.worldbank.org/country/south-sudan

[iii] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/suedsudan-node

[iv] http://www.care.org/sites/default/files/documents/Gender%20in%20Brief%20South%20Sudan%20.pdf

[v] Animisten gehören dem Animismus an: Es ist ein Religion, die vorwiegend bei den Jäger + Sammler Kulturen (indigene Völker) verbreitet ist. Animisten glauben, dass jedes Detail der Erde eine Seele hat und jedem Wertschätzung zukommen muss.

[vi] ebd.

[vii] https://www.hrw.org/report/2013/03/07/old-man-can-feed-us-you-will-marry-him/child-and-forced-marriage-south-sudan

[viii] http://www.girlsnotbrides.org/child-marriage/south-sudan/

[ix] http://www.southsudanmedicaljournal.com/assets/files/misc/SHHS.pdf

[x] http://www.hrw.org/report/2013/03/07/old-man-can-feed-us-you-will-marry-him/child-and-forced-marriage-south-sudan

[xi] https://www.hrw.org/report/2013/03/07/old-man-can-feed-us-you-will-marry-him/child-and-forced-marriage-south-sudan

[xii] http://www.unicef.org/southsudan/10924_12807.html

[xiii] http://www.voanews.com/content/high-dowry-child-marriage-south-sudan-/1690947.html