Städtegruppe Hamburg gedenkt Morsal Obeidi 15.5.2018, 10.Todestag. Foto: © Antje LangethalAm 15. Mai 2008 wurde die 16 Jahre alte Deutsch-Afghanin Morsal Obeidi von ihrem älteren Bruder Ahmad mit über zwanzig Messerstichen in Hamburg getötet. Beweggrund für diesen so genannten Ehrenmord war Morsals Wunsch, frei und selbstbestimmt zu leben. Die Familie, mit ihrer strikten Lebensweise und ihren überkommenen Traditionen, konnte dieses Bestreben nicht akzeptieren und reagierte darauf zunächst mit Gewalt und zu guter Letzt mit ihrer Ermordung.
Anlässlich des zehnten Todestages von Morsal Obeidi erinnerten die Frauen der Städtegruppe Hamburg von TERRE DES FEMMES an ihr Schicksal. Zwischen 16 und 18 Uhr hielten sie am Ort des Geschehens, dem Übergang der S- und U-Bahnhaltestelle Berliner Tor, eine Mahnwache. Die Frauen nutzen die zwei Stunden nicht nur um Morsal zu gedenken, sondern auch, um die Öffentlichkeit für das Thema Ehrenmord zu sensibilisieren. PressevertreterInnen von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern waren ebenfalls anwesend.
Morsal war zwischen ihrer Freiheit und ihrer Familie hin und hergerissen. Häufig zog sie mit ihrer Vorstellung von einem selbstbestimmten Leben den Zorn ihrer Familie auf sich. Immer wieder kam es zu gewaltsamen Konfrontationen, doch selbst ein 10-monatiger Aufenthalt in Afghanistan tat ihrem Willen nach einem freien Leben keinen Abbruch. Oft rief Morsal die Polizei zur Hilfe und suchte Sicherheit in Schutzunterkünften. Anzeige erstattete sie jedoch nie und auch die Einrichtungen verließ sie immer wieder, um zu ihrer Familie zurückzukehren. Am 15. Mai 2008 bezahlte Morsal für den Wunsch, sowohl ein freies Leben zu führen als auch Teil ihrer Familie zu bleiben, mit dem Leben. Am 13. Februar 2009 wurde Ahmad Obeidi vom Hamburger Landgericht wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Morsals Tod ist kein Einzelfall. Auch nicht in Deutschland. Der wohl bekannteste „Ehren“-Mord in der Bundesrepublik ist der Mord an Hatun Sürücü. Am 7. Februar 2005 wurde Hatun in Berlin auf offener Straße erschossen – ebenfalls von ihrem Bruder und ebenfalls als Reaktion auf ihren Wunsch nach einem freien und selbstbestimmten Leben. Im Schnitt werden laut einer BKA-Studie in Deutschland jährlich 12 „Ehren“-Morde gerichtlich erfasst.
Auch 2018 wurden wieder Fälle von Mordversuchen im Namen der Ehre bekannt. So wurde die schwangere Alaa W. im Februar in Laupheim (Baden-Württemberg) von ihrem Bruder und ihrem „Ehemann“ (verheiratet nach islamischem Recht) mit einem Messer attackiert und in den Oberkörper gestochen. Beweggrund für die Tat war die neue Liebe der aus Libyen stammenden 17-Jährigen zu einem anderen Mann. Alaa W. und ihr ungeborenes Kind überlebten den Angriff. Ihr Bruder und ihr „Ehemann“ wurden einen Tag nach der Tat festgenommen. Ein weiterer Fall, der vermutlich als „Ehren“-Mordversuch gedeutet werden kann, ereignete sich im April in einem Kaufhaus in Gropiusstadt in Berlin. Ein 75-Jähriger Rentner stach mit einem Messer auf seine 47 Jahre alte türkischstämmige Tochter ein. Die Tochter wurde ins Krankenhaus gebracht und notoperiert. Sie überlebte den Angriff. Der Vater ließ sich ohne Wiederstand festnehmen. Grund für die Attacke soll das verletzte Ehrgefühl des Vaters sein, da seine Tochter sich von ihrem Ehemann scheiden ließ, nachdem dieser sie geschlagen hatte.
Zum zehnten Todestag von Morsal Obeidi hat TERRE DES FEMMES mit der Mahnwache ihr und all den anderen „Ehren“-Mordopfern gedacht. Nach wie vor leiden viele junge Mädchen und Frauen unter Gewalt und Unterdrückung, die mit einem vermeintlichen Erhalt der Familienehre begründet werden. Das Wertesystem, welches die Idee der Familienehre untermauert, basiert auf traditionell-patriarchalen Normen und Machtverhältnissen und beeinträchtigt viele Mädchen und Frauen, aber auch Jungen und Männer. Es besteht noch großer Handlungsbedarf, um diese veralteten patriarchalen Strukturen zu überwinden. TERRE DES FEMMES fordert mehr Anstrengungen der Politik, um Menschen, die von Gewalt im Namen der Ehre bedroht sind, besser zu schützen und zu verhindern, dass anderen Frauen das gleiche Schicksal widerfährt wie Morsal.
Stand: 05/2018