Die vom Europäischen Parlament 2015 veranlasste Studie zur Praxis von Zwangsheiraten in Europa ist im Februar unter dem Titel "Forced marriage from gender perspective" erschienen. Monika Michell, TERRE DES FEMMES-Referentin für Gewalt im Namen der Ehre, hat das Länderprofil zur Situation in Deutschland beigetragen.
Die Studie "Forced marriage from gender perspective" (PDF-Datei) stellt heraus, dass in allen EU-Mitgliedstaaten zivilrechtliche Bedingungen vorhanden sind, die die Gültigkeit einer Eheschließung begründen und z.B. ein Mindestalter für die Mündigkeit einer Eheschließung festlegen. Trotz unterschiedlicher Definitionen von Zwangsehen sind Einvernehmen, Zwang und Nötigung zentrale Aspekte der Interpretationen. Aus diesem Grund wird eine Verbindung von Früh- und Zwangsehen gezogen, da die Fähigkeit zur Einwilligung erst bei einer gewissen Reife vorhanden ist. Neben zivilrechtlichen Ehen, werden in der Studie auch informelle, religiöse und rituelle Verbindungen, die unter Zwang entstehen, als Zwangsehen aufgefasst. Genau dieses Verständnis versucht TERRE DES FEMMES aktuell durch Lobbyarbeit gesetzlich zu verankern. Denn unter § 237 StGB, der Zwangsverheiratungen in Deutschland unter Strafe stellt, fallen bisher nur standesamtliche Eheschließungen. Hier besteht der dringende Bedarf, diesen Paragraphen auf „eheähnliche“ – also eben religiöse und soziale Eheschließungen – zu erweitern.
Die EU-Studie zeigt außerdem auf, dass Zwangsheirat lediglich in 12 der 28 Mitgliedstaaten einen eigenen Straftatbestand darstellt und wenige Daten zur Lage in den einzelnen Ländern existieren. Gründe hierfür sind, dass Fälle überhaupt nicht oder nicht an staatliche Stellen gemeldet bzw. nicht zentral vermerkt werden. Deutlich wird jedoch, dass vor allem junge Frauen von der Praxis betroffen sind und Zwangsheirat deshalb als geschlechtsbasierte Gewalt zu verstehen ist und nicht auf einzelne kulturelle oder religiöse Zusammenhänge bezogen werden sollte. Herausforderungen für die Anwendung rechtlicher Verfolgung von Zwangsverheiratungen sind laut Studie die mangelnden Schutz-, Unterstützungs- und Aufklärungsprogramme für von Zwangsheirat Betroffene, so dass diese vor einer Anzeige zurückschrecken oder sich der Rechtslage überhaupt nicht bewusst sind.
Neben einem eigenen Kapitel zu Zwangsheirat in Roma Communities widmen sich ausführliche Berichte der Situation in Dänemark, Spanien, der Slowakei, dem Vereinigten Königreich und Deutschland. Außerdem finden sich Auflistungen zur Rechtslage in allen 28 Mitgliedstaaten. Mit der Studie ist nun endlich ein erster Schritt getan, wichtige Daten und Vergleichswerte zu Zwangsverheiratungen in Europa zu sammeln.
Stand: 03/2016