Der 30. Juli ist der Internationale Tag gegen Menschenhandel. Bei Menschenhandel handelt es sich um eine schwere Form der Menschenrechtsverletzung und dieses Jahr möchten wir aus gegebenem Anlass unseren Blick auf ein lateinamerikanisches Land richten: Kolumbien.
Seit März 2021 ist die kolumbianische Menschenrechtsaktivistin July Cassiani-Hernandéz zu Gast bei TERRE DES FEMMES und berichtet im folgenden Artikel aus erster Hand über die Situation in ihrem Heimatland.
Die Situation der Kinderrechte in Kolumbien:
Ein kurzer Blick auf Menschenhandel und sexuellen Missbrauch
Von July Cassiani-Hernandéz
Laut des Unicef Berichts von 2018 über die Lage von Mädchen, Jungen und Jugendlichen in Kolumbien, werden pro Jahr durchschnittlich 35.000 Kinder Opfer von Menschenhandel. Manuel Bedoya, Professor an der Javeriana University, konnte in einer investigativen Studie nachweisen, dass zwischen Januar 2013 und Juli 2018 7.534 Kinder von sexueller Ausbeutung betroffen waren – im Schnitt also 112 Minderjährige pro Monat.
Kolumbien kämpft wie viele andere lateinamerikanische Staaten seit dem 19. Jahrhundert mit Armut und sozialer Ungerechtigkeit. Diese Situation führt zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft und kriminelle Netzwerke operieren in vielen Städten des Landes. Betteln, Prostitution und die sexuelle Ausbeutung von Kindern sind weit verbreitet. Diese Lebensbedingungen bieten den Nährboden für Rechtsverstöße. Die Stärkung von Kinderrechten hat für die kolumbianische Regierung jedoch keine hohe Priorität und steht weit unten auf der politischen Agenda. Aus verschiedenen Berichten der World Bank geht außerdem hervor, dass Korruption in Teilen Lateinamerikas eine große Herausforderung darstellt.
Diese Grundbedingungen ebnen Kinderhändlern den Weg. Laut Bedoya (2018) beginnt sexuelle Ausbeutung bei Kindern in einigen Fällen bereits im Alter von 3 Monaten. Die meisten Vorfälle tragen sich in Bogota, Cali, Cartagena und Medellin zu.
Das Institut für Familienfürsorge Kolumbien (Instituto Colombiano de Bienestar Familiar, ICBF) ist die von der kolumbianischen Regierung beauftragte Einrichtung, die für Verteidigung, Garantie und den Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen verantwortlich ist. Dieses ist leider selbst in verschiedene Skandale verwickelt, bei denen Kinder in Pflegefamilien gestorben sind, Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden und Kinderhandel durch Pflegeeltern betrieben wurde. Beispielsweise wurde bekannt, dass Kinder in Adoptivfamilien untergebracht wurden, in denen Kindesmissbrauch in der Vergangenheit vorgekommen war und/oder denen Verbindungen zu „kinderpornographischen“ Netzwerken nachgewiesen werden konnten. Dies wurde durch anerkannte Organisationen bestätigt, hochrangige Beamte leugnen jedoch diese schwerwiegenden Vorwürfe bislang erfolgreich.
Es sind schwierige Ausgangsbedingungen für den Schutz, die Verteidigung und die Gewährleistung der Rechte von Kindern. Kolumbien sieht gesetzliche Strafen für diejenigen, die nachweislich Verbrechen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch und Kinderhandel begangen haben vor. Die justizielle Strafverfolgung dieser Fälle verläuft jedoch oft zäh, zeitlich äußerst verzögert und ihre Mechanismen sind unzureichend. Viele staatliche Institutionen weisen die Vorwürfe von sich, legen sie ad acta oder es folgen langwierige Prozesse ohne nennenswerte Resultate. Die Verurteilungsquote bei Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch liegt in Kolumbien bei weniger als 5%.
Einige internationale Organisationen wie UNICEF, aber auch nationale Organisationen (Talita Cum, Ángeles Somos Observatorio de Infancia y Adolescencia, RENACER, u.a.) und andere eher lokale Organisationen unterstützen wo möglich. Sie bieten rechtliche Vertretung und psychosoziale Unterstützung für Familien und Betroffene an, verfügen allerdings nicht über ausreichende Kapazitäten, um großflächige Unterstützungsangebote anzubieten. Trotz eines Dunkelfeldes von Hunderten oder gar Tausenden Fällen von Kinderhandel und sexualisierter Gewalt an Kindern, ist das Hellfeld sehr klein - was bedeutet, dass die meisten Fälle nicht angezeigt, oder seitens der Behörden aus verschiedenen Gründen nicht weiterverfolgt werden.
Die Reaktionen aus der Öffentlichkeit erhöhen den Druck auf die Regierung, sich dem offensichtlichen Problem endlich anzunehmen. Zivilgesellschaftliche Organisationen tragen durch Unterstützungsangebote, die Dokumentation und Aufdeckung solcher Fälle sowie mit ihrer Präventionsarbeit einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Ungerechtigkeiten bei.
Stand 07/2021