Offener Brief von TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V.
zur Frühjahrskonferenz der InnenministerInnen: Schützen Sie Frauen und
Mädchen vor häuslicher Gewalt, greifen Sie ein und verhindern Sie Femizide!
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
sehr geehrte Landesinnenministerinnen und -minister,
als Frauenrechtsorganisation begrüßt TERRE DES FEMMES, dass sich Bundesinnenministerin
Nancy Faeser kürzlich gegen die Verharmlosung von Femiziden und für ein härteres
Durchgreifen durch Ermittlungsbehörden bei häuslicher Gewalt ausgesprochen hat. Zur
bevorstehenden Frühjahrskonferenz der InnenministerInnen möchten wir die Gelegenheit
nutzen und eindringlich an die notwendige Umsetzung der Istanbul Konvention und
an den Schutz von Frauen appellieren.
Häusliche Gewalt gilt als eines der weltweit größten Gesundheitsrisiken für Frauen und
Kinder und kostet Deutschland etwa 3,8 Milliarden Euro jährlich.1 Tagtäglich erleben
Tausende von Frauen in Deutschland häusliche Gewalt. Jede vierte Frau ist von häuslicher
Gewalt betroffen, laut Polizeistatistik 119.164 Frauen allein im Jahr 2020. Täglich
versucht ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, jeden dritten Tag wird
eine Frau durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner ermordet. Im Jahr 2020 waren
es 139 Frauen, die getötet wurden.2 In den Medien wird der Tod der Frau viel zu oft als
„Beziehungstat“, „Familientragödie“ oder „Ehedrama“ abgetan und dadurch verharmlost.
Dabei sind es systematische Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind: Es sind Femizide!
Geschlechtsspezifische Gewalt muss beim Namen genannt werden – auf keinen Fall darf
sie verharmlost werden: Im Jahr 2019 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass
keine niederen Beweggründe vorliegen und es sich strafmildernd auf den Täter auswirkt,
wenn sich seine Partnerin vor der Tat von ihm getrennt hat.3 Dieses Urteil steht im Widerspruch
zur Istanbul-Konvention, die seit 2018 auch in Deutschland völkerrechtlich
bindend ist.4
TERRE DES FEMMES fordert, dass Tötungsdelikte, die aufgrund einer
Trennung oder Trennungsabsicht der Partnerin stattfinden, effektiv und konsequent verfolgt
und als Morde bestraft werden. Die Verharmlosung als „Familientragödie“ oder „Eifersuchtsdrama“
muss aufhören, da es Verständnis und Empathie für den Täter schürt
und die ermordete Frau außer Acht lässt.
Wir fordern, dass allen Frauen, die Gewalt erleiden, adäquate Hilfe und Unterstützung
flächendeckend zur Verfügung steht, unabhängig von ihrem Wohnort, Gesundheitszustand,
der Herkunft oder dem Aufenthaltstitel. TERRE DES FEMMES fordert eine Überarbeitung
des Gewaltschutzgesetzes. Die aktuelle Praxis von Schutzanordnungen schützt
Betroffene nicht vor weiterer Gewalt und wird von der Polizei individuell gehandhabt,
denn die Grundlage für die Wegweisung ist das für das jeweilige Bundesland gültige Polizeigesetz.
Die Wegweisung sollte bundesweit einheitlich mindestens 14 Tage dauern und
Verstöße müssen konsequenter geahndet werden. PolizistInnen, LehrerInnen, sowie
Fach- und Führungskräfte bei Jugendämtern müssen regelmäßig geschult und fortgebildet
werden. Es muss sichergestellt sein, dass das Personal Signale häuslicher Gewalt
wahrnehmen kann und adäquat auf häusliche Gewalt reagiert, wenn es damit konfrontiert
wird.
TERRE DES FEMMES fordert daher u.a.:
- Schnelle, flächendeckende und effektive Hilfe für betroffene Frauen und ihre Kinder;
- Den Ausbau von Plätzen in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen;
- Eine regelmäßige und kontinuierliche Erhebung von Daten zu Gewalt an Frauen;
- Einrichtung von Opferschutzambulanzen;
- Jugendgerechte Präventionsarbeit, auch in Schulen und Kindertagesstätten;
- Rechtsanspruch auf Hilfe bei Gewalt, sowie psychosoziale Prozessbegleitung
Als Frauenrechtsorganisation beobachten wir, dass es zwar viele gute Ansätze gibt, um
Frauen zu unterstützen, wie zum Beispiel das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen
Frauen, sie jedoch in einer konkreten Gefahrensituation nicht ausreichend unterstützt
werden. Es fehlt an Plätzen in Frauenhäusern, an wohnortnahen Beratungsstellen, an
geschultem Personal bei Polizei und Behörden und vor allem an einem starken politischen
Willen, diese Situation ändern zu wollen! Wir fordern daher Sie als Bundesinnenministerin
und die LandesinnenministerInnen auf: Schützen Sie Frauen vor Gewalt. Sorgen
Sie dafür, dass Frauen in ihren eigenen vier Wänden und darüber hinaus sicher sind!
Mit freundlichen Grüßen
Christa Stolle
Bundesgeschäftsführerin
1 https://www.gleichstellung-bayern.de/images/veranstaltungen/gewalt_kostet/Pr%C3%A4sentation_
Prof_Sacco_Kosten-H%C3%A4usliche-Gewalt.pdf
2 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/gewalt-in-partnerschaften-4-9-prozent-mehr-faelle-als-
2019-187204
3 https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st19-24
4 https://rm.coe.int/1680462535 Vgl. S. 19, Art. 46a