18.09.2008: Offener Brief zur Kopftuch-Broschüre der Berliner Senatorin Dr. Heidi Knake-Werner

An die
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit
und Soziales
Frau Dr. Heidi Knake-Werner
Oranienstr. 106
10969 BERLIN


Tübingen, 18.09.08

Offener Brief zu Ihrer Broschüre "Mit Kopftuch außen vor?"

Sehr geehrte Frau Dr. Knake-Werner,

vor wenigen Tagen haben wir die Broschüre "Mit Kopftuch außen vor?" von Ihnen erhalten, die wir mit großem Befremden gelesen haben. Uns ist unverständlich, wie sich eine staatliche Institution wie die Berliner Senatsverwaltung für eine religiöse Auslegung einsetzen kann, die der im Grundgesetz verankerten Gleichstellung der Geschlechter diametral entgegen steht. Eine solche Positionierung von staatlicher Seite fördert nicht etwa die Integration, sondern verschärft die bereits bestehenden Parallelgesellschaften.

In unserer täglichen Arbeit sind wir häufig mit Frauen konfrontiert, die sich bewusst gegen das Tragen eines Kopftuches entschieden haben und deshalb diskriminiert werden. Gerade Mädchen und junge Frauen werden vermehrt von Mitschüler/-innen, Familie und Community unter Druck gesetzt und als "Hure" beschimpft, wenn sie das Kopftuch nicht tragen. Die Anhänger der Kopftuch-Ideologie unterscheiden so zwischen ehrbaren und nicht ehrbaren Frauen. Dies kann nicht im Sinne einer aufgeklärten und emanzipatorischen Gesellschaft sein und ist mit Werten wie Toleranz, Respekt und Gleichberechtigung nicht vereinbar.

TERRE DES FEMMES sieht im Kopftuch das Symbol einer patriarchalisch fundierten Geschlechterhierarchie, d.h. der Vormundschaft des Mannes über die Frau. Diese wird sowohl von Männern als auch von Frauen aufrechterhalten. Damit ist das Kopftuch kein religiöses Symbol - wohlwissend dass es u.a. auch aus persönlicher religiös begründeter Motivation oder als modisches Accessoire getragen wird.

Wir waren in diesem Zusammenhang erstaunt zu lesen, dass die in der Broschüre genannten Empfehlungen aufgrund von Gesprächen mit lediglich 30 Muslimen, einer Leiterin einer Erziehungsschule und einem Vertreter einer islamischen Religionsgemeinschaft zustande kamen. Wie Sie selbst schreiben, sind die Einstellungen der befragten Personen keineswegs repräsentativ.
Wir fragen uns deshalb, warum Geld für eine solche Broschüre ausgegeben wird, anstelle es in den Opferschutz und in die Beratung von Opfern dieser Strukturen zu investieren.

Aus den genannten Gründen möchten wir Sie dringend bitten, die Broschüre zurückzuziehen und diejenigen zu schützen, die im Namen einer Religion daran gehindert werden, frei und selbst bestimmt zu leben. Wir werden diesen Brief auf unserer Homepage veröffentlichen, um unsere BesucherInnen und unsere Mitglieder über unsere Position zu informieren.

Mit freundlichen Grüßen

Christa Stolle
Bundesgeschäftsführerin