Mut und Weisheit – die Frauen von Lakia

Es ist Hochsommer in Israel im August 2013. Die Friedensgespräche im Nahen Osten sollen nach einer langen Eiszeit in Kürze wieder starten. Was dabei herauskommen wird? Niemand weiß es so genau. Bei einer Fahrt durch das Land im Gespräch mit unterschiedlichen Menschen wird deutlich: Niemand erwartet sich wirklich etwas davon. Zu viele Enttäuschungen in der Vergangenheit. Und zu viele Rückschläge. Dabei gibt es so viele, die von einem Friedensprozess profitieren würden.  Aber es sagt sich eben auch leicht von außen. Wer  in der alltäglichen Auseinandersetzung mit den politisch heiklen Fragen nicht leben muss, hat leicht ein Lösungskonzept parat, das in der Praxis dann nicht funktionieren würde.  Nach vielen Reisen in den Nahen Osten wird mir immer wieder bewusst, wie schwierig manches ist. Der Krieg in Syrien tut ein Übriges dazu, Menschen zu verunsichern. So scheitert ein friedliches Aufeinander-Zugehen manchmal zuallererst an der persönlichen Befindlichkeit, die Angst hat vor dem, was morgen geschehen wird.

Seit mittlerweile 12 Jahren gibt es nun den Kontakt zwischen TERRE DES FEMMES und dem Projekt „Association for the Improvement of  the Status of Women“-Lakia. Was mit einem eigentlich einmalig geplanten Besuch bei einem Frauenprojekt in der Negevwüste im Süden Israels im Jahr 2001 begann, ist mittlerweile zu einer langjährigen Projektkooperation geworden. Lakia ist ein Beduinendorf, das 1982 entstand und Teil eines Ansiedlungsprogrammes des Staates Israel für BeduinInnen war. Vorher hatten die Frauen und Männer beduinischer Herkunft an wechselnden Orten in der Wüste  Viehhaltung und Handel betrieben, nach der Entstehung des Staates Israel wurde die Wüste jedoch größtenteils zu einem Sperrgebiet für militärische Zwecke erklärt. Ein geographisch vorgegebenes Dreieck als legales Siedlungsgebiet schränkte die Bewegungsfreiheit der BeduinInnen ein. Nicht alle beugten sich den Vorgaben. Sogenannte illegale Dörfer entstanden (die im Folgenden als „illegalisierte“ Dörfer  bezeichnet werden, da sie sich selbst als rechtmäßige Ansiedlungen verstehen), diese sind bis heute abgeschnitten von der öffentlichen Versorgung und einem funktionierenden Bildungswesen. Immer wieder kommt es in diesen illegalisierten Dörfern zu Hauszerstörungen, die seitens des Staates Israel als rechtmäßig bezeichnet werden, da die Häuser ohne Genehmigung gebaut wurden  – die jedoch von den israelischen Behörden gar nicht zu erhalten gewesen wäre.

Amal ElSaana, Foto: © LaqiyaAmal ElSaana.
Foto: © Lakia
BeduinInnen, die heute in der Negevwüste leben, sind formal israelische BürgerInnen. Allerdings sind sie auch als solche wie viele AraberInnen mit einer Diskriminierung durch den Staat Israel konfrontiert. Zusätzlich haben sie innerhalb der arabischen Bevölkerungsgruppe kein hohes Ansehen. Am härtesten trifft diese Ausgangssituation die Frauen. Vor der „Ansiedlung“ in den dafür vorgesehenen Dörfern hatten die Frauen in der patriarchal strukturierten muslimischen Gesellschaft noch einen relativen Freiraum, da eine ihrer  traditionellen Aufgaben u.a. darin bestand, das Wasser vom Brunnen zu holen. Dieser „Weg aus dem Haus“ ermöglichte Begegnungen. Die  Ansiedlung in festen Wohnkomplexen und Dörfern schränkte ihre Bewegungsfreiheit deutlich ein. In dem Dorf Lakia, das ca 15 km nördlich der Universitätsstadt Beersheba liegt, gründete sich daraufhin im Jahr 1996 eine Initiative, die Frauen und Mädchen einen besseren bzw. überhaupt erst einmal einen Zugang zur Bildung ermöglichen wollte. Diese Gründung ging aus von einer jungen Beduinenfrau, Amal ElSaana, die heute auch über die Grenzen Israels hinweg als erfolgreiche Menschenrechtsaktivistin bekannt ist. Im Jahr 2010 wurde sie gemeinsam mit anderen Frauen aus aller Welt für die Initiative 1000 peace women für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Durch die Gründung der Frauenkooperative begann eine gesellschaftliche Bewusstseinsbildung, in der der Versuch unternommen wurde, Frauen und vor allem Männer von der Notwendigkeit einer Bildung für Frauen und Mädchen zu überzeugen. Anfangs waren die Widerstände groß und auch nach mehreren Jahren, als das Projekt im Dorf bereits anerkannt schien, kam es noch zu Brandanschlägen auf die Einrichtung. Die Frauen in Lakia haben in dieser Hinsicht einen mühevollen, aber auch einen erfolgreichen Weg hinter sich. Ihr Ziel war und ist es bis heute, Frauen – ohne ihnen die traditionelle Lebensweise abzusprechen – hin zu mehr Empowerment zu führen. Zum einen investierten die Frauen in einem hohen Maß in Bildungsarbeit und luden Mädchen und Frauen zu Kursen ein, in denen die Selbstverantwortlichkeit gestärkt werden sollte. Außerdem wurde eine fahrende Bibliothek eingerichtet, die bis heute die illegalisierten Dörfer rund um Lakia mit Literatur versorgt.

Die Werkstatt, in der unterschiedliche Produkte mit beduinischen Mustern bestickt werden, soll es Frauen außerdem ermöglichen, sich ein eigenes Taschengeld zu verdienen. Diese Projekte waren als Empowerment für die Frauen vor Ort gedacht, zugleich wurden sie aber auch unter der Überschrift „Versöhnung zwischen den Kulturen“ ins Leben gerufen. Benachbarte jüdische Kibbuzim waren in die Zusammenarbeit eingebunden, jüdische Gruppen wurden eingeladen, um die Situation der BeduinInnen kennen zu lernen, jüdische Handarbeitslehrerinnen waren in dem Projekt engagiert. Gemeinsam mit den arabischen Beduinenfrauen sind so in den vergangenen Jahren Brücken des Vertrauens entstanden, die neben einem Empowerment der Frauen auch zu einem neuen Verständnis der jeweils „Anderen“ geführt haben.

Lesung bei Laqiya, Foto: © LaqiyaLesung bei Lakia.
Foto: © Lakia

In der Vergangenheit unterstützte der New Israel Funds mit kleineren Beträgen die Arbeit des Projektes. Die Assoziation hat jedoch bis heute keine finanzielle Basis, die über mehrere Jahre hinweg tragen würde. Immer wieder gab es einzelne Projektpartner, wie bspw. die Heinrich-Böll-Stiftung, die über drei Jahre hinweg Zuschüsse gewährte. Zurzeit ist die Situation jedoch prekär: Sowohl der Fundraiserin wie auch der Direktorin und der Marketingleiterin konnten seit mehreren Monaten keine Gehälter mehr ausgezahlt werden. Frauen, die in der Stickereiwerkstatt nähen, können nicht mehr ausgezahlt werden. Empowerment-Kurse finden nur noch in sehr eingeschränktem Maße statt. Die fahrende Bibliothek wird von einer Privatperson aus dem Ausland finanziert – sie könnte ansonsten nicht mehr existieren.

Welche Handlungsoptionen gibt es? Im August 2013 sitzen wir gemeinsam im Haus des Projektes, das gleichzeitig auch als Stickereiwerkstatt dient. Umstrukturierungen sind angedacht: Im Frühjahr beschlossen die Frauen, ihren Schwerpunkt auf das Marketing und den Verkauf im Ausland zu legen. Eine neue Managerin versucht, Kontakte aufzunehmen, kreative Ideen sind gefragt. Wie  könnte TERRE DES FEMMES die Frauen in Lakia noch aktiver unterstützen? In den letzten Jahren konnten wir den Frauen ca. 1000 Euro pro Jahr zukommen lassen. Es sollte mehr sein: allein um die 50 Frauen der Stickereiwerkstatt auszuzahlen, bräuchte es ein Finanzvolumen von mindestens 20 000 Euro im Monat. Warum nicht noch einmal auch unterschiedliche arabische Stiftungen aus dem Ausland anfragen? Die Frauen winken ein wenig müde ab: Aus der Perspektive der arabischen Staaten sind die BeduinInnen israelische StaatsbürgerInnen, die als solche scheinbar privilegiert sind und weniger Förderung benötigen als andere arabische Frauen. Die innerisraelische Diskriminierung wird von außen oft nicht gesehen. Dabei fehlt der arabischen und vor allem der beduinischen Minderheit im Staat oft die Lobby: Der Focus von ausländischen Menschenrechtsorganisationen richtet sich eher auf die PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten. Dort werden ebenfalls traditionelle Stickereien hergestellt – oftmals zu einem niedrigeren Preis, da die Lebenshaltungskosten dort insgesamt niedriger sind als in Israel.

Die Initiative der Frauen ist trotz dieser prekären Ausgangslage auch weiterhin auf neue Perspektiven hin ausgerichtet. Eine effektivere Marketingstrategie soll  helfen Märkte zu erschließen. Zahlreiche TouristInnengruppen kommen täglich in das große Beduinenzelt der Organisation in Lakia. Sie hören Vorträge, sind interessiert an der Kultur und kaufen in der Sickereiwerkstatt ein. Die Zahl der BesucherInnen hängt jedoch sehr stark von der politischen Lage ab. Wird die Situation instabil, dann geht ihre Zahl zurück – und auf eine stabile politische Lage ist im Nahen Osten derzeit kein Verlass. Es wäre notwendig, einen Absatz der Stickereiprodukte im Ausland etablieren zu können – nachhaltig und langfristig. Vielleicht könnte eine Vermarktung zumindest eines einzelnen Produktes über TERRE DES FEMMES dabei helfen.

Diese Idee wollen wir mitnehmen. Die Frauen sind sich aber auch einig: „Wir brauchen eine bessere Lobby. Wir brauchen Menschen, die bereit sind, sich auch in unsere Gesellschaft hineinzudenken und diese von innen heraus zu verändern. Dafür ist ein größeres Verständnis für die traditionellen beduninischen Strukturen nötig.“ Dabei wünschen sich die Beduinenfrauen sehr wohl eine „machtvolle“ Rolle in ihrer Gesellschaft, sind allerdings weit davon entfernt sind, diese konfrontativ durchsetzen zu wollen. „Wir müssen die Menschen erst einmal so nehmen, wie sie sind. Für alle Frauen hier ist es mittlerweile selbstverständlich bzw. es wird von ihnen gefordert, ein Kopftuch zu tragen. Darum diskutieren wir nicht über das Kopftuch, sondern über die Frage, wie Frauen einen besseren Zugang zur Gesellschaft bekommen.“ Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist nicht gekoppelt an das Tragen eines Kleidungsstückes - die Argumentation klingt in diesem Zusammenhang einleuchtend. Nicht alle politischen Forderungen lassen sich eben auf die jeweilige gesellschaftliche Realität 1:1 übertragen. Deutlich macht dies Hana aus Meitar, dem Nachbarort von Lakia. Als israelische Jüdin begleitet sie das Projekt schon seit vielen Jahren als Handarbeitslehrerin. So hat sie  immer wieder von innen heraus die Veränderungen beobachtet. Mittlerweile ist sie über 70 Jahre alt, ihr Resümee über die Arbeit, die hier seit vielen Jahren geleistet wird, fällt nachdenklich, aber nichtsdestoweniger spürbar solidarisch mit den Frauen aus:  „Diese Organisation ist ein Ort, an dem es wirklich Veränderungen gab. Sie geschehen leise und manchmal nicht spürbar, aber es ist vieles anders geworden“. Mit den Frauen mitdenken und allen gängigen Klischees zum Trotze diese Entwicklungen aufzeigen, das ist ein Gedanke, den ich mit nach Hause nehme – verbunden mit dem Gefühl, dass Emanzipation hin zu mehr Eigenständigkeit immer auf Wegen geschieht, die aus der eigenen Kultur erwachsen und von uns als Projektpartnerinnen sorgsam mitbedacht werden müssen.

Wir  verabschieden uns voneinander. Die Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit nimmt mich mit bis zur nächsten größeren Kreuzung, an der  ein Bus hält. Sie ist ebenfalls  Jüdin, kommt ursprünglich aus Kanada, ist vor vielen Jahren nach Israel eingewandert und lebt in einem Kibbuz etwa eine Stunde von Lakia entfernt. Warum sie diese Arbeit, die seit mittlerweile einem halben Jahr unbezahlt ist, macht? „Sie werden ungerecht behandelt und dagegen muss man etwas tun“ sagt sie. Das reicht, um weiter zu machen.

Träume, Hoffnungen und Ergebnisse dieser Reise ? Mehr Verständnis für die Situation der Frauen selbst. Noch mehr Respekt für den Mut, den sie tagtäglich gegen viele Widerstände aufbringen. Und die Perspektive, dass ein erhöhtes Spendenaufkommen dazu beitragen kann, dass die Arbeit weitergeht.  Geld klärt nicht alles – und macht doch manches leichter. Vielleicht können wir als Frauen von TERRE DES FEMMES in der Zukunft dazu noch ein wenig mehr beitragen.

Ines Fischer, Oktober 2013 

Ines Fischer (4. von links) mit den Laqiya-Frauen. Foto: © LaqiyaInes Fischer (4. von links) mit den Lakia-Frauen.
Foto: © Lakia