Kaum ist man in die belebte Einkaufsmeile der Stadt eingebogen, begegnen einem schon die ersten wertenden, ja gar lüsternen Blicke, die den Körper von Kopf bis Fuß mustern. Man spürt nahezu, wie die Augenpaare auf einem haften und den eigenen Blick einzufangen suchen. Von Unwohlsein getrieben, beschleunigt sich der Schritt und hektisch ersehnt man sich das Ziel herbei.
Manchmal aber auch, wird der banale Gang zum Supermarkt ungewollt musisch begleitet, wenn Pfiffe aus den gespitzten Mündern mal oder weniger virtuos begabter Menschen ertönen.
Im Öffentlichen Nahverkehr ist dies wahrlich auch von keiner Seltenheit. „Ey Süße, heute schon was vor?“ dringt es dumpf durch die Kopfhörer, mit denen man sich eigentlich von der stressigen Außenwelt abschirmen. Reflexartig versucht man die unangenehmen Annäherungsversuche zu ignorieren und widmet sich hastig dem Handy, um möglichst authentisch beschäftigt zu wirken.
Haben Sie eine dieser Szenen auch schon mal erlebt? Oder etwa alle und das sogar mehrmals? Das, werte Leserinnen und Leser, ist Alltagsexismus, auch Catcalling genannt. Die oben beschriebenen Formen sind wohl die häufigsten und bekanntesten Erscheinungen von Sexismus im Alltag. „Sexismus ist die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und setzt ein Machtungleichgewicht voraus, das auf der Annahme basiert, dass ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei.“ (Gesa Birkmann, TDF) Dieses vorrangig in der Öffentlichkeit stattfindende Phänomen zeigt sich alltäglich und überall. Obwohl Sexismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, trifft es hauptsächlich Frauen. Alle Geschlechter sind #bornequal, daher muss Sexismus gemeinsam beseitigt werden und darf sich nicht in der Diskriminierung eines Geschlechts niederschlagen.
„Du gefällst mir besser, wenn du die Klappe hältst.“
Dieser Kommentar ist ein weiteres Beispiel von Alltagssexismus. Seine vielzähligen Ausprägungen hüllen sich oftmals in ein facettenreiches und undurchschaubares Gewand. Unter Fremden in der Öffentlichkeit, im Dialog mit KollegInnen, oder im Bekannten- und Familienkreis: Sexismus ist omnipräsent. Zu 46% finden sexistische Übergriffe in öffentlichen Plätzen und zu 41% auf dem Arbeitsplatz statt. Durch sein mannigfaltiges Erscheinungsbild ist er äußerst tückisch und unberechenbar. Es macht ihn schlechter greifbar und schwieriger auszumachen. Dennoch ist ein herausstechender charakteristischer Kern übergeordnet festzuhalten: seine Allgegenwärtigkeit.
Aufgrund dieser werden die Auswirkungen seiner Symptome oftmals wenig reflektiert und laufen Gefahr, im dem abgestumpften und so gewöhnlichen Alltag unterzugehen:
So scheint es normal, sich als Frau nicht mehr allein in der Dunkelheit nach draußen zu begeben. Es scheint normal, sich als Frau Gedanken über die gewählte Kleidung zu machen und sich deshalb für das weniger offenherzigere Outfit zu entscheiden. Es scheint normal, sich auf der Arbeit und in der Schule immer etwas mehr anstrengen zu müssen als Jungen oder Männer.
Die Zahlen sind schlimm, die Realität ist schlimmer
Der zunehmend salonfähigen Objektivierung von Frauen sowie der Internalisierung von Sexismus muss entgegengewirkt werden. Sexismus begegnet überall und trifft jedes Geschlecht. Dennoch äußert sich seine Vorliebe insbesondere gegenüber Frauen: Laut Statistischem Bundesamt 2019 sind 68% der zwischen 16- und 24-jährigen Frauen von Sexismus betroffen. So erschreckend allein diese Zahl ist, kann von einem weitaus höheren Prozentsatz an Betroffenen von Alltagssexismus ausgegangen werden. Denn Sexismus im Alltag ist schwer empirisch zu erfassen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gibt in seiner 2018 veröffentlichten Pilotstudie „Sexismus im Alltag. Wahrnehmung und Haltung der deutschen Bevölkerung“ an, dass jede 10. Frau mehrmals in der Woche von Sexismus betroffen ist.
Aber auch in den Medien ist Sexismus unübersehbar und unüberhörbar. Dieser Zustand manifestiert die bestehende Geschlechterungerechtigkeit und Diskriminierung von Frauen im soziogesellschaftlichen Diskurs. 63% der Journalistinnen wurden bereits mit verbalen Beschimpfungen attackiert. Insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Popularität und Etablierung der sozialen Medien als nahezu unerlässliche Komponente im Berufs- und Privatleben, sind Frauen besonders stark von Sexismus betroffen. Grade Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden ungewollt zur Bühne sexistischer Darbietungen, die von herabwertenden Sprüchen, über Hate Speech, bis hin zu gewaltandrohenden Angriffen reichen.
Eine Korrelation zwischen niedriger Sexismus-Sensibilität und akademischen Bildungsgrad wurde im Zuge der Studie beobachtet. Je niedriger der Bildungsgrad, desto höher sei die Toleranz gegenüber Sexismus. Es ist eine eklatante Geschlechterdifferenz bezüglich der Sensibilität gegenüber Sexismus festzustellen. Frauen mit hohem akademischem Bildungsgrad nehmen Alltagssexismus zu 20 % mehr wahr als Männer mit dem gleichen Bildungsstand.
Sensibilisierung schafft Veränderung!
Die tägliche Verunsicherung und Diskriminierung von Frauen und Mädchen durch Alltagssexismus müssen wir durch einen öffentlichkeitswirksamen Dialog stoppen. Frauen sind so viel stärker und dreidimensionaler als das, was geschlechtsspezifischen Vorurteile versuchen zu suggerieren. Frauen sind mutig und selbstbewusst. Dementsprechend wollen sie sich frei und unbesorgt bewegen sowie entfalten können. Doch 74% der Frauen finden es schwer, sich gegen Sexismus zur Wehr zu setzen. 83% aller Frauen sind der Ansicht, dass es zu wenig professionelle Unterstützung in dem Umgang mit Sexismus gibt.
Die erschreckenden Ergebnisse der Politstudie des BMFSFJ zeigen alarmierend auf, dass Sexismus normalisiert und gar schon ein unreflektierter Teil unseres Alltags ist. Dies führt zur Verharmlosung und zum unweigerlichen Fortbestehen von Alltagssexismus.
Die Sexismus-Debatte gehört nicht vertagt, versteckt oder übersehen, sondern müssen wir genau jetzt gezielt führen!
Helfen Sie uns dabei, eine gleichberechtigte, selbstbestimmte und freie Gegenwart und Zukunft für Frauen und Mädchen in Deutschland zu gestalten. Denn nur mit Ihrer Unterstützung können wir geschlechterbasierter Ungerechtigkeit und Diskriminierung entgegenwirken. Egal in welcher Form, Jede und Jeder kann etwas gegen Alltagssexismus tun. Ob im Gespräch mit FreundInnen, KollegInnen oder innerhalb der Familie; Sensibilisierung beginnt im kleinen Rahmen. In der Schule, der Universität oder auf der Arbeit können alle Projekte initiieren, die auf Sexismus öffentlich aufmerksam machen und ihn stoppen. Insbesondere der Aktivismus in den sozialen Medien ist unabdingbar im Bestreben zur Bekämpfung von Sexismus. Durch Sie wird unsere Arbeit erst möglich. Ob durch Spenden, der Aktivität in unseren Vereinen und Städtegruppen, oder durch die Verbreitung unserer Anliegen. Ihre Unterstützung lebt von Ihrem großen Engagement, Ihrem so motivierenden Zuspruch und vor allen Dingen, unserem gemeinsamen Bestreben für eine gerechte Welt für Frauen und Mädchen, frei von Diskriminierung und Gewalt.
Unterstützen Sie uns weiterhin und kämpfen mit uns Seite an Seite gegen Sexismus und für Gleichberechtigung. Vielen lieben Dank!
01.06. 2021