Poesie für Frauenrechte: TERRE DES FEMMES mit Poetry Slam gegen Alltagssexismus

Finalist  Sven Hensel (Bochum): „Weil die Welt eine Bühne ist, spielst du Hetero und Julia“.Finalist Sven Hensel (Bochum): „Weil die Welt eine Bühne ist, spielst du Hetero und Julia“.„Ich finde, diese Themen kennen kein Geschlecht!“

Dem jungen Mann, der da ein wenig unsicher im gelben T-Shirt auf der Bühne des Berliner Kultklubs SO36 steht, glaubt man seine Worte. Und weil er eben ein Mann ist, möchte man ihm intuitiv applaudieren und sich gleichzeitig selbst (ganz im Sinne des Veranstaltungsthemas) für diese unterwürfige Dankbarkeit auf die Finger hauen.

Der 20–jährige Sven Hensel gehört zu den elf PoetInnen, die dem Aufruf von TERRE DES FEMMES gefolgt sind und sich am 05. August 2015 zu einem Poetry Slam unter dem Motto „Let’s talk about SEXism“ versammelt haben. Gemeinsam mit DichterkollegInnen aus dem ganzen Land hat er sich in Kreuzberg eingefunden, um vor 150 ZuschauernInnen ein verbales Zeichen gegen Alltagssexismus zu setzen.

Das Konzept eines Poetry Slams ist gleichermaßen einfach wie innovativ und längst ein Publikumsmagnet auf deutschen Bühnen: Maximal sechs Minuten Zeit haben die TeilnehmerInnen, um einen selbst verfassten Text zu präsentieren. Einzige Regeln: Keine Kostümierung, keine Requisiten. Ob vorgelesen, rezitiert oder gesungen, allein oder im Team, wild gestikulierend oder mit größter Zurückhaltung – der Vortragsweise sind keine Grenzen gesetzt. Am Ende schließlich darf das Publikum per Abstimmung seinen Favoriten unter den dargebotenen Werken küren.

So bunt gemischt wie Zuhörerschaft und PoetInnen, so vielfältig auch die Annäherung an das Thema. Während die Einen (Marie-Theres Schwinn und Romana Schneider) weiblichen Stereotypen im Duett ihre komische Seite abgewinnen, schlagen andere ernstere Töne an: Gewalt gegen Kinder und Vergewaltigung (ebenso poetisch wie erschütternd: Finalistin Bonny-Lycen Henze aus Dresden), sexualisierte Gewalt (Jonathan Schulze-Röbbecke) und auch ein Herzschmerztext an das deutsche Grundgesetz von Leila Jones, die Sexismus und Rassismus als Verbündete empfindet – die KünstlerInnen sind mutig, die Texte provokant, das Publikum diskussionsfreudig.

Gewinnerin Leonie Warnke (Leipzig): „Man(n) muss immer einer Frau haben, die gerettet werden will!“Gewinnerin Leonie Warnke (Leipzig): „Man(n) muss immer einer Frau haben, die gerettet werden will!“Und immer wieder geht es um Rollenentwürfe, die wie ein zu enges Korsett angelegt werden sollen: Ob Luise Frentzel, die die leidvoll-komische Erfahrung macht, weder männlichen noch weiblichen Standards zu entsprechen; oder Annika Blanke und Insa Kohler, die den Weiblichkeitsrezepten aus der Zeitschrift „Freundin“ für eine geradezu brillante Satire kaum etwas antun müssen, als sie schlichtweg wiederzugeben; oder eben jener Sven Hensel, der mit seinem verzweifelten Andichten gegen ein heteronormatives Liebeskonzept den vielleicht melodischsten und anrührendsten, ganz sicher aber den Beitrag mit dem höchsten Körpereinsatz zeigt und dafür mit dem Finaleinzug belohnt wird: Sie alle rebellieren gegen eine alltägliche Form sexistischer Fremdbestimmung und resümieren: „Mich hat niemand gefragt“ (Poetin Maike Garca).

Untermalt von den sanft-authentischen Liedern der australischen Musikerin Stephanie Grace und beschwingt durch den Abend geleitet von Moderatorin und Künstlerin Jessy James LaFleur – oberstes Credo: „Seid zärtlich!“ – wird das Berliner Publikum Zeugin einer Veranstaltung, bei der das gesprochene Wort Enthüllungswerkzeug, Liebesobjekt und Instrument zugleich ist. Mal wird applaudiert, mal protestiert. Immer aber wird hinterfragt.

Durchsetzen konnte sich am Ende übrigens Leonie Warnke, die zunächst erfrischend frech Entwürfe „weiblicher Schönheit“ kommentiert („Ich wusste ja gar nicht, auf welchen Olymp der Schönheit ich mich noch schmieren kann!“), um im Finale süffisant Liebeskomödien als Gipfel ebenso sexistischer wie stupider Schemata zu enttarnen.

Gruppenbild TDF Praktikantinnen mit den PoetInnen und Moderatorin Jesse JamesGruppenbild TDF Praktikantinnen mit den PoetInnen und Moderatorin Jesse James

Verlierer gibt es an diesem Abend trotzdem keine. Außer dem Alltagssexismus vielleicht. Und der hat es schließlich mehr als verdient.

 

Stand 08/2015