Neu in unserer Bibliothek

In regelmäßigen Abständen finden Sie an dieser Stelle eine Auswahl unserer Neuanschaffungen.

Viel Spaß beim Schmökern!

Neuanschaffungen 2019

Julia Wöllenstein
Von Kartoffeln und Kanaken.
Warum Integration im Klassenzimmer scheitert.
Eine Lehrerin berichtet.2019 Wöllenstein

„Kartoffeln“ und „Kanaken“ sollen sich die Fußballer der Nationalmannschaft mit und ohne Migrationshintergrund während der WM in Russland gegenseitig aus „Spaß“ gerufen haben. Doch solche Zuschreibungen haftet immer auch einen Beigeschmack an. Sie sind auch „Ausdruck von Schubladendenken und ziehen imaginäre Grenzen“.

Wie kommt es zu solchen Grenzen? Wie äußern sich ihre Folgen im Schulalltag? Wie können die Grenzen überwunden werden? – diesen Fragen geht die Kasseler Gesamtschullehrerin Julia Wöllenstein in ihrem Buch nach und kann dabei aus eigenen Erfahrungen schöpfen.

„Wenn ich etwas falsch mache, müssen Sie mich schlagen,“ fordert sie ein Schüler auf.
Eine Schülerin verweigert ab der neunten Klasse ihre Mitarbeit, sie „brauche keinen Schulabschluss“, da sie „nächstes Jahr den Cousin heirate.“
Ein anderes Mädchen, deren Familie ihr den Schwimmunterricht verweigerte, schrieb der gesamten Klasse über WhatsApp, dass der Schwimmunterricht am nächsten Tag ausfalle, um nicht aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Das sind nur wenige der berührenden, oft verstörenden, ja erschreckenden Fallbeispiele, die die Autorin anführt.

80 Prozent ihrer SchülerInnen haben Migrationshintergrund. Viele sind MuslimInnen.
Aber Wöllenstein geht es nicht darum, den Islam zu kritisieren, ihr geht es um patriarchale Strukturen, denen die Gesellschaft nicht mit falscher Toleranz begegnen dürfe. Strukturen, die „nicht in ein demokratisches System passen,“ müsse die Politik entgegentreten.

Die Politik müsse handeln, um die SchülerInnen und das Lehrpersonal zu unterstützen. Eine gesetzliche Regelung des Kinderkopftuchs und die Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichtes statt eines konfessionell gebundenen Religionsunterrichts, wären ein erster notwendiger Schritt.

Die engagierte Lehrerin steht immer auf der Seite ihrer SchülerInnen.
Sie fordert ein reformiertes Schulsystem, das allen „die größtmögliche Freiheit und Chancen gewährleistet und gleichzeitig die Grenzen aller respektiert.“

Ein Buch, das nicht nur mit drastischen Beispielen aus den Klassenzimmern von „Brennpunktschulen“ aufwartet, sondern Lösungsmöglichkeiten aufzeigt und uns alle aus der Komfortzone scheucht.

mvg Verlag, München 2019, 190 Seiten, 14,99 €
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Kristina Hänel
Das Politische ist persönlich
Tagebuch einer „Abtreibungsärztin“2019 Cover Hanel

Abtreibungsärztin“ – so wird Kristina Hänel oft von AbtreibungsgegnerInnen genannt, aber auch die Medien scheuen den Begriff nicht. Die Gießenerin fühlt sich durch das Wort „reduziert“ – so erklärt sie sich in ihrem Buch. Sie ist eine Ärztin, die unter anderem auch Abtreibungen durchführt. Seit 1988 arbeitet sie als Allgemeinärztin, auch als Notärztin im Rettungsdienst und als Reittherapeutin für Kinder mit und ohne Behinderung. In ihrer Freizeit spielt sie Klezmer, läuft Marathon und startet bei der Triathlon-Europameisterschaft für die deutsche Altersklassen-Nationalmannschaft. Es ist aber ihr Kampf gegen das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbruch, der sie bundesweit bekannt gemacht hat. In ihrem Buch schildert siel, wie ihr Leben seit der Anklage wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 219a Strafgesetzbuch verlaufen ist.

Mit einem Brief vom Amtsgericht am 3. August 2017 hat alles angefangen. Die Ärztin wurde wegen einer herunterladbaren PDF-Datei zum Schwangerschaftsabbruch auf der Webseite ihrer Praxis von einem Abtreibungsgegner, der in den Medien nicht namentlich genannt werden wollte, angezeigt. Laut §219a Strafgesetzbuch gilt solch eine Sachinformation als „Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch“ und ist verboten. Die Anklage löste Fassungslosigkeit bei ihr aus: „Wie kann die denn? Und was bedeutet das jetzt? Urteil? Approbation weg? Gefängnis?“. In ihrem Buch schildert Hänel, wie sich ihre Gefühle und Gedanken seit der Anzeige veränderten und sie sich entschieden hatte, gegen den Paragrafen zu „kämpfen“. Für sie geht es nicht um sie allein, sondern um alle ÄrztInnen, die Abtreibungen in Deutschland vornehmen, aber auch die um diejenigen, die für die Webseiten der betroffenen Kliniken zuständig sind. Es geht ihr um Informationsfreiheit und vor allem um die Selbstbestimmung von Frauen - und nicht um Schwangerschaftsabbruch. Dabei setzt sie auf die Macht der Kommunikation: „Eine Kampagne, ein Feldzug, ein Kampf, das ist nicht meine Art. Das Einzige, was ich tue, ist sprechen. Ich breche das Schweigen. Ich breche das Tabu.“

Sie reicht eine Petition an den Deutschen Bundestag ein, führt zahlreiche Interviews mit MedienvertreterInnen, versucht Kontakt mit politischen Parteien zu knüpfen, wendet sich mit einem Brief sogar an Angela Merkel.

Hänel gewährt in diesem Tagebuch zuweilen auch Einblicke in private Momente, vor allem mit ihrer Familie und ihren Freunden, die ihr Kraft geben, durchzuhalten, sich politisch weiter zu engagieren.

„Oma, was ist für dich das Schönste auf der Welt?“
„Das Schönste auf der Welt ist, dass man Kinder kriegen kann.“

Besprechung: Ngoc-Mai Trinh

Argument Verlag, Hamburg 2019, 240 Seiten, 15,00 €

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Rukiye Cankiran
Das geraubte Glück
Zwangsheiraten in unserer Gesellschaft2019 Cover Cankiran

Spätestens seit dem „Ehren“-Mord an Hatun Sürücü, 2005 in Berlin wird das Thema „Zwangsheirat“ im deutschen gesellschaftlichen Diskurs immer wieder verhandelt. Mit den Geflüchteten, die seit 2015 nach Deutschland kommen, hat es neue, erhöhte Aufmerksamkeit erhalten. Dabei konzentriere sich die Öffentlichkeit – so Cankiran – meistens auf drastische Fälle, vornehmlich werde ein pauschalisierender und herablassender Tenor angeschlagen. Rukiye Cankiran, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin anatolischer Herkunft möchte mit ihrem Buch dazu beitragen, mit dem schwierigen und vielschichtigen Thema sensibler umzugehen.

Um Phänomene wie Zwangsverheiratungen zu verstehen und wirksam bekämpfen zu können, müssen sie sachlich analysiert werden.

Das gilt auch für die Perspektive der Eltern. Eltern, die ihren Töchtern eine Heirat aufnötigen, tun dies aus unterschiedlichen Gründen, oft in der festen Überzeugung im Sinne der Verheirateten gehandelt zu haben. In vielen Gesellschaften ist es die schiere Armut, die die Eltern zu diesem Schritt veranlasst. Aber meistens zwingt die Übermacht der Familientradition die Tochter oder den Sohn in die unerwünschte Ehe. Allzu oft wird aus Angst vor dem Verlust der Familienehre, sogar der Tod des eigenen Kindes gebilligt, um diese wiederherzustellen.

Die Autorin ist mit den Facetten des Themas vertraut: Als Projektmitarbeiterin, -koordinatorin und Vertrauensdolmetscherin hat sie viele junge Frauen beraten und deren Geschichten kennengelernt.
Cankiran stuft die Zwangsheirat als eine Form von Gewalt gegen Frauen ein, als eine grobe Menschenrechtsverletzung, die auf patriarchalen Machtstrukturen gründet.

Sie beklagt aber die einseitige Berichterstattung in den Medien, die „gewöhnlichen“ Beziehungstaten, die täglich überall begangen würden, vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit widmeten.

Nichtdestotrotz sei es die Aufgabe der heutigen Integrationspolitik sich mit dem gesellschaftlichen Problem „Zwangsheirat“ auseinanderzusetzen.

Letztendlich geht es für Cankiran um die Frage: „Wie wollen wir als Gesellschaft in Deutschland zusammenleben?“. Deswegen ist es heute wichtiger denn je, Plattformen für Aufklärung, für interkulturellen Austausch und gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Dafür gibt es bereits erfolgreiche Initiativen. Eine davon ist das Berliner HEROES-Projekt. Durch wichtige Dialoge zur Gleichberechtigung und Selbstbestimmung können traditionelle Geschlechterrollen und patriarchale Machtstrukturen aufgedeckt und abgebaut werden.

Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2019, 192 Seiten, 20,00 €

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Anna Dahlqvist
It’s Only Blood
Shattering the Taboo of Menstruation
Alice E. Olsson (englische Übersetzung aus dem Schwedischen)2018 Cover Only Blood

800,000,000 Menschen menstruieren in diesem Augenblick. Man könnte meinen, dass eine natürliche Körperfunktion, die das Leben so vieler Menschen prägt, die zudem wesentliche Voraussetzung der menschlichen Fortpflanzung ist, heutzutage kein heikles Thema mehr ist. Dass dem so nicht ist, stellt Anna Dahlqist in ihrem kritischen und feinfühlig geschriebenen Buch klar.
Mit dem monatlichen Zyklus werden häufig gesellschaftlich tabuisierte Werte in Verbindung gebracht: Sexualität, Selbstbestimmung oder reproduktive Rechte.

Die Autorin weist nach, wie dieses schambehaftete Phänomen – vor allem in Ländern des globalen Südens – zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Transpersonen führt. Armut, Frühehen, Teenagerschwangerschaften und Müttersterblichkeit zählen dazu.

Die Organisation der Monatshygiene (z.B. das regelmäßige Wechseln oder Waschen der Binde) ist für Menschen, die keinen Zugang zu Toiletten, sauberem Wasser und Abfallentsorgung haben, in der Regel unrealistisch. Oft bleiben gesundheitliche Folgen nicht aus. Zudem sind Menstruationsprodukte für viele unerschwingliche Luxusartikel.

Wie kann diesen Umständen begegnet werden? Die Autorin hat hierzu menstruierende Jugendliche und AktivistInnen, sowie HygienemitarbeiterInnen und engagierte PädagogInnen befragt. So erfahren wir, wie bei Irise International in Uganda wiederverwendbare Binden hergestellt werden oder wie in Indien die Organisation Change mit der Textilbranche zusammenarbeitet, um die Gesundheitsbedingungen der ArbeiterInnen zu verbessern.

Diese Bemühungen können aber nur ein Anfang sein. Es gilt, gesellschaftlichen Assoziationen, die die Menstruation als unrein einstufen, entgegenzuarbeiten. Viele Menstruierende dürfen etwa Gotteshäuser nicht betreten oder müssen zuhause bleiben. Viele dieser Einschränkungen entstammen der patriarchalen Angst vor einer subversiven Macht der Frau, die durch gesellschaftliche Isolation und unter dem Etikett der Scham klein gehalten werden soll. Dahlqvist spricht von „der großen Stille“, wenn über die Periode in verschleiernden Begriffen und Bildern gesprochen wird, - wie der sogenannten „Ketchupwoche“ in Frankreich; oder wenn sich die Unterhaltung über die Periode auf sehr private, intime Situationen beschränken muss. Dieses Schweigen wird vielerorts durch einen Mangel an umfassender Aufklärung verstärkt. Viele junge Mädchen bleiben ahnungslos und sich selbst überlassen in ihrer ersten Konfrontation mit der eigenen Sexualität. Ihre nicht ausgesprochenen Fragen bleiben unbeantwortet. Damit beginnt ein Teufelskreis, den die Forscherin Chris Bobel treffend in Worte fasst: „Ignoranz erzeugt Scham und Scham erzeugt Ignoranz“.

Bildung und Aufklärung ist, auch für die im Buch interviewten AktivistenInnen, der ultimative Schlüssel, um diese „Menstruationsignoranz“ zu durchbrechen.
FeministInnen in Indien benutzen inzwischen das Hashtag #HappyToBleed, um auf Menstruationsprobleme in ihrem Land online aufmerksam zu machen, die NGO WASH United hat den 28. Mai zum Tag der Menstruationshygiene erklärt.

Neue Austauschmöglichkeiten über Menstruation keimen auf. Jeder und jede sollte sich an ihnen beteiligen, so Dahlqvist.

Zed Books Ltd, London 2018, 202 Seiten, 7,96 €

 

Sabine Maier
Das Buch der Tage
Ein Tagebuch für Frauen

2018 Cover DasBuchderTage

Jeden Monat das Gleiche: es fließt Blut. Die Hälfte der Weltbevölkerung blutet und dennoch ist die Menstruation noch immer ein riesengroßes Tabu. Die natürlichste Sache der Welt soll bitte möglichst unsichtbar geschehen, „unsere Tage“ sollen sein wie alle Tage. Tja, sind sie aber nicht. Interessanterweise kommt derzeit Bewegung in die öffentliche Wahrnehmung der Monatsblutung: Zyklus Apps, eigene Twitter- Accounts zum Thema und die globale Debatte um die „Tampon Steuer“ verändern den Umgang mit der Menstruation. Was in Amerika unter dem Stichwort „Period Positivity“ derzeit voll im Trend ist, wird in deutschen Medien von Spiegel bis Zeit bereits „Menstruationsrevolution“ genannt. Passend zu diesem roten Umschwung legt die Journalistin und Leiterin von Frauenseminaren Sabine Maier nun ein witziges und kluges Buch vor. Kernstück des optisch besonders ansprechend gestalteten „Buch der Tage“ sind angeleitete, monatliche Tagebuchblätter sowie Fragebögen und Listen zum Selbstausfüllen. So können mit Hilfe des „Guided Journals“ Regelmäßigkeiten bei der Regel, Muster in der weiblichen Familiengeschichte und sogar magische Aspekte des „Mondbluts“ entdeckt werden. Spielerisch und unverkrampft (PMS, nein danke) plädiert die Autorin für einen neuen Blick auf ein tabuisiertes Thema, das ganz essentiell mit dem Frausein verbunden ist.

Ergänzend dazu versammelt das „Buch der Tage“ Interviews, spannende Fakten aus aller Welt und Darstellungen neuer Trends wie Free Bleeding, Thinx und #menstruationmatters.

Das Buch richtet sich an Frauen jeden Alters, egal durch welche Hormonkurve sie gerade brausen. Ganz nach dem Motto: Es wird Zeit, die Menstruation (wieder) zu dem zu machen, was sie ist – der rote Faden in unserem Leben.

Wundergarten Verlag, Wien 2018, 159 Seiten, 18,50 €

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Jana Kießer
das bleibt unter unsJana Kiesser

Der Titel findet sich als schlichte Buchstabenzeile auf dem Rücken des Fotobandes. Das Cover weist uns ganz ohne Text den Weg zur Deutung dessen, worüber Stillschweigen gewahrt werden soll: Wir können es im Gesichtsausdruck der Abgebildeten erahnen.

Die Serie das bleibt unter uns ist eine Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Familie der jungen Fotografin.

Seite um Seite, Bild um Bild scheinen die Innenansichten einer Versehrten aufzublitzen.
Was ist hinter dem mondbeleuchteten Fenster hinter den Kiefern passiert?
Ein Arm schwebt halb im dunklen Wasser. Sucht er Kühlung – oder ist es Todessehnsucht?
Der Flügel eines Vogels auf rauhem Kiesboden ...
Zwischen den reifen, gelbe Früchte tragenden Mirabellenbäumen zwei Männerbeine, die sich entfernen.
Werden die Luft-Wurzeln dieses Baumes Geborgenheit bieten? Oder führen sie in ein Labyrinth?

Fast versteckt finden sich im Vorder- und Rückumschlag sehr persönliche Zeugnisse in der Gestalt von Miniatur-Alben: Kindheitsfotos in dem Einen; in dem Anderen handschriftliche Tagebuchauszüge, denen maschinengeschriebene Mitteilungen des (inhaftierten) Täters gegenübergestellt werden.

Jana Kießer nimmt uns mit in die Abgründe der verletzten Seele - dunkel, fragend, unkenntlich - Einblicke ins Ungewisse, mysteriöse Orte, Zerbrochenheit, Bedrohung, Entwendung der Unbekümmertheit, Unschuld und Weiblichkeit, Schockstarre, Entwurzelung, Ohnmacht, Regungslosigkeit, Gewalt und die ständige Angst, dem Täter wieder zu begegnen.

Gewidmet hat die Fotografin ihr Buch allen Betroffenen von sexuellem Missbrauch.

self published, Berlin 2018, Edition von 50 Exemplaren; 55 €
18,5 x 27,3 cm; handgebunden, 44 Seiten; enthält 2 Einlegehefte 20 & 24 Seiten, 10 x 14 cm
Ansicht und Bestellung unter: www.janakiesser.de

 

Matthias Veit
Ein Mann steht seine Frau!
Papa macht Teilzeit, Mama Karriere und das Kind, was es will.2019 Veit MannstehtseineFrau

„Muss man eigentlich immer das Optimum erreichen und seine Umgebung maximal beeindrucken – nur weil man ein Mann ist?“ Mit dieser Frage stellt der Schriftsteller, Pressesprecher und Vater, Matthias Veit, die Redewendung „seinen Mann stehen“ in seinem Buch auf den Kopf und fordert eine Gesellschaft, in der auch Frauen die Freiheit haben, über Elternzeit und Beruf zu entscheiden, ohne dabei als egoistisch abgeurteilt zu werden.

Die Zahl der Väter, die die Elternzeit nutzen, ist in den letzten Jahren zwar gestiegen, aber dank wiederaufkeimender konservativer Wertvorstellungen, setzt sich viel zu oft das alte „Einverdiener-Modell“ durch. Mancher Vater sieht sein väterliches Engagement bereits mit seinem Krankenhausbesuch zur Geburt erfüllt; gelegentlich holt er auch das Kind aus dem Kindergarten ab. Derweil bleibt die tatsächliche Kindererziehungsarbeit den Müttern überlassen. Diese ungleiche Aufgabenaufteilung ist für alle Beteiligten unfair: Väter stehen unter beruflichem Leistungsdruck und finden kaum Zeit für die Familie, werden aber mit Beförderungen und Gehaltserhöhungen belohnt. Mütter hingegen werden aus der Karriere gedrängt und sind daher finanziell von ihren Partnern abhängig.

In einem Stellenangebot als Pressesprecher mit flexibler Teilzeit erkannte Veit die große Chance, überkommene Rollenvorstellungen zu überwinden. Seine Frau würde jetzt ihre Karriere verfolgen können, ihm bliebe die aufreibende Schichtarbeit als freier TV-Reporter erspart, dafür mehr Zeit, die er seiner Tochter widmen könnte. Eine Win-Win-Situation. Ein Privileg, für viele Familien ein unerreichbarer Traum. Deshalb brauche Deutschland eine durch Staat und Gesellschaft ermöglichte „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ und mehr Familienautonomie. Dazu gehörten flexible Arbeitsmodelle (z.B. Gleitzeit), genügend Kinderbetreuungsplätze, besserer Lohn für ErzieherInnen, und einen Paradigmenwechsel in der Einstellung zu Müttern am Arbeitsplatz.

Veit träumt von einem „Papa 4.0“ – einem, der selbstverständlich elterliche Aufgaben teilt, nicht, um Lob einzuheimsen, sondern weil sich diese Vorstellung als gesellschaftliche Norm etabliert hat.

Seine Begeisterung für eine engagierte Vaterschaft scheint vielerorts im Buch durch: So zeichnet er unermüdlich Einhorn-Entwürfe für eine Kunstausstellung in Emmas Schlafzimmer oder begeistert sich daran, sie mit seinem Alter Ego, dem „lustigen Hasen Wackelzahn“, immer wieder in gute Laune zu versetzen.

Einige Tipps für Eltern hat er auch bereit: Elternschaft ist Teamarbeit. Elternschaft macht nicht immer Spaß und das muss einfach akzeptiert werden. Ein gelungenes Familienleben setzt Kompromisse voraus. Dazu gehört aber natürlich auch eine gewisse Menge von „radikale Albernheit“.

Matthias Veit/neobooks, Düsseldorf 2018, 178 Seiten, 9,99 €

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Chimamanda Ngozi Adichie
Liebe Ijeawele...
Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden2018 Adichie

15 Vorschläge für eine feministische Erziehung hat die Autorin in diesem schmalen Band zusammengetragen. Wobei Erziehung vielleicht gar nicht das richtige Wort ist. Denn der aus Nigeria stammenden Schriftstellerin geht es weniger darum, dass Kinder in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Vielmehr richtet sie sich an die Erwachsenen, die sie in ihrem Leben geleiten.

Denn in diesem feministischen Manifest geht es nicht darum, möglichst aggressiv für Gleichberechtigung zu kämpfen, sondern Grundgedanken von Gleichberechtigung der Geschlechter in den Alltag einzubeziehen. Die Autorin ruft dazu auf, Töchtern starke Vorbilder zu sein.

„Sei eine vollständige Person“, beginnt sie ihren Leitfaden. „Mutterschaft ist ein großartiges Geschenk, aber definiere dich nicht nur über die Mutterrolle. Sei eine vollständige Person. Dein Kind wird davon profitieren.“ Man müsse seinen Töchtern, Enkeltöchtern und Nichten zeigen, dass Frauen keine Grenzen aufgrund ihres Geschlechts gesetzt sind, und „dass 'Geschlechterrollen' absoluter Blödsinn sind.“ Frauen können eine erfolgreiche Karriere verfolgen, wie Männer sich ihrer Vaterrolle annehmen können. Es bedarf sowohl weiblicher als auch männlicher Vorbilder, die das Leben von Kindern prägen und Stereotypen zerschlagen.

Adichie schrieb diesen Leitfaden als Brief an ihre gute Freundin, die sie um ihre feministische Meinung bat, um ihre neu geborene Tochter zu einer starken Frau heranwachsen lassen zu können. Umso ansprechender und lebendiger liest sich ihr Ratgeber, der perfekt ist für alle werdenden Eltern und alle, die Nachwuchs im Familien- und Bekanntenkreis erwarten oder gerade begrüßen durften. Das Buch passt in jede Tasche und ist schnell gelesen, wird aber nicht so schnell wieder vergessen.

Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2017, 80 Seiten, 8,00 €.

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