Die Freiheit ist weiblich
Rowohlt, 2021 Berlin, 320 Seiten, 22,- €
"Weißt du, das wichtigste Instrument, um die Gesellschaft zu kontrollieren, ist die Frau zu kontrollieren.“
Atais Buch handelt von Erfolgen und Niederlagen, vom Kämpfen und vom Durchatmen. Es handelt von neun außergewöhnlichen Frauen.
Im Gespräch mit Fatemeh Sepehri, Shiva Nazar Ahari, Schahnaz Akmali, Atena Daemi, Sahra Rusta, Asam Dschangrawi, Maryam Schariatmadari und Masih Alinejad führt Golineh Atai durch den Iran.
Die Frauen erzählen von ihren Erfahrungen aus Früh- und Zwangsehen, von gesellschaftlichen Zwängen und frauenfeindlichen Gesetzen. Sie erzählen von ihrem Weg in den Widerstand und ihrem Einsatz für Frauen-, Menschenrechte und für die Meinungsfreiheit. Sie erzählen von unfairen Gerichtsverfahren, politischer Haft, die kaum je im Verhältnis zu ihren „Verbrechen“ steht; von psychischer Folter und einem Regime, das alles daransetzt, friedlichen Aktivismus im Keim zu ersticken.
Das Buch der Journalistin Golineh Atai bietet gleichzeitig eine Einführung in die politische Geschichte und den gesellschaftlichen Wandel im Iran seit der islamischen Revolution 1979.
Diese läutete das Ende der Monarchie unter Schah Mohammed Reza Pahlavi und den Anfang der islamischen Republik, wie sie heute noch besteht, ein. Durch die schrittweise Einschränkung demokratischer Strukturen, die Unterbindung jeglicher Meinungsfreiheit, aber auch der Zurückdrängung des Einflusses des Klerus hatte der Schah die iranische Bevölkerung zunehmend gegen sich aufgebracht. 1978 kam es zu immer mehr Massenprotesten, an denen sich die unterschiedlichsten politischen Lager beteiligten. Ruhollah Chomeini, der aufgrund seiner öffentlichen Ablehnung der proamerikanischen Reformpolitik und der Kritik an der Zurückdrängung des Einflusses des Islams 1963 ins Exil geschickt wurde, kam nun wieder ins Land und wurde zur zentralen Figur der Revolution.
In einem Referendum stimmte die überwältigende Mehrheit der iranischen Bevölkerung für die Einführung einer islamischen Republik. Noch im selben Jahr beschloss die neue Regierung, unter dem religiösen Führer Ajatollah Chomeini, dem die Verfassung weitreichende Befugnisse zugestand, eine Zwangsverschleierung einzuführen. Dies leitete den Anfang der in den folgenden Jahren durchgesetzten Islamisierung des Justizwesens, der Bildung, Wirtschaft und Medien ein.
Anfängliche Proteste der Frauen und Oppositionellen gegen das neue System wurden schnell unterbunden, indem DemonstrantInnen in den öffentlichen Medien diffamiert und Regimekritiker als „Feinde, die gegen Gott und seinen Propheten Krieg führen“ bezeichnet wurden, was juristisch den Weg für Gefängnis- und sogar Todesstrafen ebnete. In kürzester Zeit war statt den gewünschten Veränderungen ein System der Repression aufgebaut.
Durch die Perspektiven der neun Frauen aus verschiedenen Generationen, aufgewachsen in unterschiedlichen Verhältnissen, geprägt von diversen politischen Geschehnissen und ihrer Konfrontation mit einem patriarchalen System erschließt sich den Lesenden ein umfassendes Verständnis für das Land.
Golineh Atai, die selbst im Iran geboren wurde, und als junges Mädchen kurz vor dem Ausbruch des Iran-Irak-Krieges mit ihren Eltern nach Deutschland geflohen ist, geht auch auf die Frage ein, inwiefern Religiosität mit dem Kampf gegen die islamische Republik vereinbar ist. So haben sich einige der Frauen durch ihre Erfahrungen vom Islam ganz abgewendet, andere fühlen sich gerade durch ihn in ihrem Kampf bestätigt. Zum Beispiel Fatemeh Sepehri, eine bekennende Muslimin, die öffentlich den Rücktritt des religiösen Führers Ajatollah Chamenei, Nachfolger von Chomeini, forderte und ihm „Gender-Apartheid“ vorwarf. Sepehri ist gegen den Gottesstaat und dessen Hidschab-Kontrollen. Sie wünscht sich ein Iran der Vielfalt.
Im Austausch mit den Frauen öffnet Golineh einen wertfreien Raum für die verschiedenen Perspektiven, Entscheidungen und Lebenswege der Frauen. Sie erklärt die Zerrissenheit des Landes, die Widersprüche der politischen Strömungen, die Diskrepanz zwischen den Hoffnungen Vieler und der Realität.
Ein gutes Beispiel ist hier Maryam Schariatmadari. Im Gegensatz zu den anderen Frauen wünscht sie sich die Monarchie zurück, da es durch verschiedene Reformen des Schah Mohammed Reza Pahlavi im Zuge einer Hinwendung zum Westen und Entmachtung des Klerus zur Stärkung der Frauenrechte im Land kam.
Maryam gehört zu den „Frauen der Revolutionsstraße“, und war nach Asam Dschangrawi die vierte, die inmitten von Teheran auf einen Stromkasten stieg und stillschweigend ein weißes Kopftuch schwenkte, um gegen die Bevormundung der Frau zu protestieren. Beide wurden verhaftet und mussten fliehen.
Neben den einzelnen Schicksalen setzt sich das Buch zudem mit der Frage auseinander, inwiefern der Westen das Geschehen in und um den Iran beeinflusst. Zusätzlich zu einer Bewertung der Sanktionen gegen die islamische Republik diskutiert Atai mit der international bekannten Journalistin Masih Alinejad die Auswirkungen, welche die Berichterstattung und mediale Darstellung oder das Fehlen dieser auf das Leben der Menschen im Iran hat.
Unbedingt empfehlenswert, wenn man gerne seinen eigenen Horizont erweitert, in andere Länder und Kulturen eintaucht und sich für Frauenbewegungen – und geschichte auch außerhalb Deutschlands interessiert.
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