Tagebuch einer „Abtreibungsärztin“
Argument Verlag, Hamburg 2019, 240 Seiten.
„Abtreibungsärztin“ – so wird Kristina Hänel oft von AbtreibungsgegnerInnen genannt, aber auch die Medien scheuen den Begriff nicht. Die Gießenerin fühlt sich durch das Wort „reduziert“ – so erklärt sie sich in ihrem Buch. Sie ist eine Ärztin, die unter anderem auch Abtreibungen durchführt.
Seit 1988 arbeitet sie als Allgemeinärztin, auch als Notärztin im Rettungsdienst und als Reittherapeutin für Kinder mit und ohne Behinderung. In ihrer Freizeit spielt sie Klezmer, läuft Marathon und startet bei der Triathlon-Europameisterschaft für die deutsche Altersklassen-Nationalmannschaft. Es ist aber ihr Kampf gegen das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbruch, der sie bundesweit bekannt gemacht hat. In ihrem Buch schildert sie, wie ihr Leben seit der Anklage wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 219a Strafgesetzbuch verlaufen ist.
Mit einem Brief vom Amtsgericht am 3. August 2017 hat alles angefangen. Die Ärztin wurde wegen einer herunterladbaren PDF-Datei zum Schwangerschaftsabbruch auf der Webseite ihrer Praxis von einem Abtreibungsgegner, der in den Medien nicht namentlich genannt werden wollte, angezeigt. Laut §219a Strafgesetzbuch gilt solch eine Sachinformation als „Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch“ und ist verboten. Die Anklage löste Fassungslosigkeit bei ihr aus: „Wie kann die denn? Und was bedeutet das jetzt? Urteil? Approbation weg? Gefängnis?“. In ihrem Buch schildert Hänel, wie sich ihre Gefühle und Gedanken seit der Anzeige veränderten und sie sich entschieden hatte, gegen den Paragrafen zu „kämpfen“. Für sie geht es nicht um sie allein, sondern um alle ÄrztInnen, die Abtreibungen in Deutschland vornehmen, aber auch die um diejenigen, die für die Webseiten der betroffenen Kliniken zuständig sind. Es geht ihr um Informationsfreiheit und vor allem um die Selbstbestimmung von Frauen - und nicht um Schwangerschaftsabbruch. Dabei setzt sie auf die Macht der Kommunikation: „Eine Kampagne, ein Feldzug, ein Kampf, das ist nicht meine Art. Das Einzige, was ich tue, ist sprechen. Ich breche das Schweigen. Ich breche das Tabu.“
Sie reicht eine Petition an den Deutschen Bundestag ein, führt zahlreiche Interviews mit MedienvertreterInnen, versucht Kontakt mit politischen Parteien zu knüpfen, wendet sich mit einem Brief sogar an Angela Merkel.
Hänel gewährt in diesem Tagebuch zuweilen auch Einblicke in private Momente, vor allem mit ihrer Familie und ihren Freunden, die ihr Kraft geben, durchzuhalten, sich politisch weiter zu engagieren.
„Oma, was ist für dich das Schönste auf der Welt?“
„Das Schönste auf der Welt ist, dass man Kinder kriegen kann.“
Besprechung: Ngoc-Mai Trinh
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