Dokumentationsstelle

„Gegen genitale Verstümmelung, meinte ich, dagegen muss etwas getan werden…“

… sagte Herta Haas als sie 1991 anlässlich des 10-jährigen TERRE DES FEMMES-Jubiläums für den Vereinsrundbrief1 über ihr Engagement befragt wurde.

© Carolin Beyer, Malerin, Hamburg

Bereits 1979 war Herta Haas in einem Artikel in der „Welt“ auf „das Problem der genitalen Verstümmelung“ gestoßen. Das Thema wurde zu einer ihrer Herzensangelegenheiten und sollte sie zeit ihres Lebens beschäftigen. So wurde sie auf diesem Gebiet zur TERRE DES FEMMES-Expertin der ersten Stunde.

Aufklärung als moralische Verpflichtung

Ihr sei klar gewesen, dass das Geld für die Arbeit gegen Genitalverstümmelung aus dem Westen kommen müsse. Und startete sogleich mit der Geldakquise: Sie kopierte den Artikel und verschickte ihn mit einem Spendenaufruf „unzählige Male“ an prominente Adressen – auch an etablierte Organisationen.

„Kein Mensch wußte damals etwas davon. Ich habe sehr viele Leute aufgeklärt und ich hatte das Gefühl, es kam eine moralische Verpflichtung mit ins Spiel“ gab sie zu Protokoll. Viele hätten erst gar nicht auf ihren Aufruf reagiert, auch hätten sich manche „die Hände nicht schmutzig machen“ wollen.

Aber Herta Haas, die neben Deutsch auch Englisch, Französisch und Italienisch beherrschte, machte unbeirrt weiter. Sie sammelte jegliches Material zu FGM (englisch: Female Genital Mutilation), dessen sie habhaft werden konnte, nahm Kontakt zu Presse, ÄrztInnen, JuristInnen und PolitikerInnen rund um den Globus auf. Vernetzte sich mit Gleichgesinnten.2

Gründungsmittglied von TERRE DES FEMMES

Dass sie 1981 bei der Gründung von TERRE DES FEMMES dabei war, erscheint vor dem Hintergrund nur konsequent.

Ihr hartnäckiger Einsatz brachte ihr eine Einladung zum 11. Weltkongress für Gynäkologie und Geburtenhilfe am 19. September 1985 in West-Berlin ein. Natürlich war sie auch im Februar 1995 beim ersten TDF-Seminar zum Thema FGM dabei.3

In ihrem Interview im Rundbrief von 1991 geht Herta Haas auch auf den „Prohibition of Female Circumcission Act“ ein, mit dem FGM 1985 in Großbritannien strafbar wurde, für dessen Zustandekommen sie sich jahrelang eingesetzt hatte. Haas weist aber auch darauf hin, dass alleine durch die Schaffung eines Straftatbestands diese komplexe Praxis nicht abgeschafft werden könne.

Ein polyglottes Leben in Unrast

Die 1907 als Herta Doctor in Frankfurt geborene Jüdin verabschiedete sich bereits 1934 nach Italien. Von dort floh sie 1939 vor den Faschisten nach Großbritannien. Ihre Familie kam in Theresienstadt um.

1947 heiratete die promovierte Historikerin Willy Haas, den sie über ihre Arbeit in der Buchhandlung „Blackwell“ in Oxford kennengelernt hatte. Erst 1954 konnte sie sich überwinden und ihrem Mann, der als britischer „Controller“ beim Wiederaufbau einer demokratischen Presse in Deutschland half, nach Hamburg zu folgen. Einer breiteren Öffentlichkeit ist Herta Haas vor allem als die Frau des Herausgebers der „Literarischen Welt“ bekannt.4

Aber natürlich hat sie nicht im/als Schatten eines bekannten Mannes gelebt. Sie hat sich als Übersetzerin einen Namen gemacht (z.B. von Henry James), sie war fester Teil des kulturellen Lebens in Hamburg. Vor allem hat sie über Jahrzehnte hinweg als unermüdliche Frauenrechtlerin gegen eine schwere Menschenrechtsverletzung gefochten. Sie hat TERRE DES FEMMES den Weg bereitet für den Einsatz gegen Genitalverstümmelung.

TERRE DES FEMMES bei der IAC-Konferenz im Februar 2003 dabei

2003 konnte eine Vertreterin von TERRE DES FEMMES ganz selbstverständlich an der Konferenz des Inter African Committee in Addis Abeba teilnehmen; die Konferenz, auf die der internationale Tag "Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung" zurückgeht, und der seither jährlich am 6. Februar begangen wird.5

TERRE DES FEMMES macht auch dieses Jahr am 6. Februar mit eigenen Aktivitäten auf diese Frauenrechtsverletzung aufmerksam.

Verweise

1 TERRE DES FEMMES-Rundbrief 2/1991, Seite 8f.

2 Herta Haas hat ihre umfangreiche auf einer mechanischen Schreimaschine geführte Korrespondenz in zwölf Ordnern akribisch dokumentiert und der TERRE DES FEMMES-Dokumentationsstelle überlassen.

3https://www.frauenrechte.de/informationen/dokumentationsstelle/zurueckgeblaettert-in-die-vereinskalender/4200-vor-25-jahren-1995-fand-das-erste-tdf-seminar-zum-thema-weibliche-genitalverstuemmelung-statt

4 Herta Haas zum 100. Die Welt vom 11.10.2007 

5 Gritt Richter: Zero Tolerance to FGM: Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung. In: Menschenrechte für die Frau. 3/2003

Stand Januar 2021

Quellen:

Expertin für sexuelle Verstümmelung. In: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 2/1991, Seite 8f.

Karin Miedler. „Genitalverstümmelung – da muss man etwas tun“. Mitbegründerin von TERRE DES FEMMES gestorben. In: Menschenrechte für die Frau 3/2007

Gritt Richter: Zero Tolerance to FGM: Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung. In Menschenrechte für die Frau. 3/2003

Herta Haas zum 100. In: Die Welt vom 11.10.2007

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