Dokumentationsstelle

"Ich mische mich da ein!"

Am 14. April 1997 tagt eine symbolische Härtefallkommission gegen sexualisierte Kriegsgewalt im „Bosnienkrieg“

Über 20.000 Frauen waren im „Bosnienkrieg“, der von 1992 bis 1995 andauerte, wiederholt roher sexualisierter Gewalt ausgesetzt: Viele von ihnen wurden in „Vergewaltigungslager“ Opfer systematischer Massenvergewaltigung, wurden gefoltert, wurden in ungewollte Schwangerschaften gezwungen.1

TDF-Plakat gegen Vergewaltigungen im "Bosnienkrieg"

Aus ihren Geburtsorten vertrieben, suchten viele in der Bundesrepublik Deutschland Zuflucht. Obwohl die Berichte über ihre Vergewaltigungen in allen politischen Parteien Entrüstung auslöste, mussten die „Frauen, denen es gelungen war, ihren Peinigern zu entkommen“ in Deutschland mit Abschiebung rechnen. TERRE DES FEMMES (TDF) zitiert empört in einer Presseerklärung vom 23.Februar 1993 das Urteil einer Behörde im Fall einer muslimischen Frau aus Bosnien: „… letztendlich ist ihre Vergewaltigung asylunerheblich. Ein solches Vergehen ist grundsätzlich nicht politisch motiviert.“2

„…letztendlich ist ihre Vergewaltigung asylunerheblich…

Dabei wurden die Vergewaltigungen an Frauen und Mädchen im Konflikt um das ehemalige Jugoslawien bereits 1993 als gezielt eingesetzte Kriegstaktik gewertet.
TDF wiederholt deshalb erneut in seiner Presseerklärung eine seit der Gründung des Vereins aufgestellte Forderung: die Anerkennung geschlechtsspezifischer Gewalt und Verfolgung als Asylgrund; zudem sollen von Vergewaltigung Betroffene medizinisch und psychologisch unterstützt werden.

Auch 1997 hat sich am Status geflüchteter Frauen in Deutschland nichts geändert. Jetzt, nach dem Ende des Krieges, sind sie erst recht von einer Abschiebung bedroht. Als Medica Mondiale die Kampagne „Ich mische mich da ein“3 aus der Taufe hebt, schließt sich TDF nicht nur als Erstunterzeichnerin an, sondern beteiligt sich aktiv an den geplanten Aktionen.

Symbolische Frauen-Härtefallkommssion“

Ein medienwirksamer Baustein der Kampagne ist die „Symbolische Frauen-Härtefallkommssion“, die am 14. April 1997 in Bonn tagte.
Neben Monika Hauser, der Ärztin und Gründerin von Medica Mondiale und der TDF -Juristin Regina Kalthegener saßen in der „Härtefallkommssion“: Sibylle Rothkegel, Psychologin im Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer, Maria Zepter, Psychologin vom Projekt „Frauen in Omarska“ und die Pädagogin Beshid Najafi von agisra und Mitglied der Härtefallkommission NRW.
Während der mehrstündigen Anhörung wiesen die Expertinnen am Fall von Eniza H. aus Prijedor nach, dass eine Rückkehr nach Bosnien eine Retraumatisierung für die Geflüchtete bedeuten würde.
Die 50-jährige Eniza H. war während des Krieges im berüchtigten serbischen Lager Omarska, inhaftiert und unbeschreiblichen Demütigungen ausgesetzt. So führte sie ein Wärter führte sie nackt an einer Hundeleine herum. Sie wurde vergewaltigt, musste Folterungen und Hinrichtungen mitansehen. Obwohl sie seit 1993 in Bayern lebt, verfolgen sie ihre Erlebnisse, rauben ihr den Schlaf. Angst und Apathie bestimmen ihren Alltag. Aufflackernde Hoffnungsschimmer erlöschen durch die drohende Abschiebung. In ihrer alten Heimat fürchtet sie die Begegnung mit ihren Peinigern. Die meisten Kriegsverbrecher werden für ihre Verbrechen kaum belangt.4

Frauenspezifische Verfolgung als Asylgrund

Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, daß unser Staat den Frauen und Kindern politisches Asyl bietet, Transportmöglichkeiten, Unterbringung und humanitäre Hilfe“, schreibt TERRE DES FEMMES am 1. Dezember 1992 in einem Brief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl.5
Das „Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen, die systematisch an bosnischen und kroatischen Frauen und Kindern tagtäglich verübt“ wurden, sollte die deutsche Politik noch lange nicht zum Handeln bewegen. Erst seit 2005 wird geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkannt. Viel zu spät für die vom „Bosnienkrieg“ traumatisierten Frauen.

Am 19. Juni 2008 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1820, nach der sexualisierte Kriegsgewalt als Kriegsverbrechen und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten.6
Noch 2017 beklagt amnesty international, dass die Verbrechen, die an Frauen im Jugoslawien-Konflikt begangen wurden, noch immer viel zu selten strafrechtlich geahndet würden.7

1 Amnesty international: ‘We Need Suport, Not Pity.’ Last chance for justice for Bosnia’s wartime rape survivors. London 2017

2 TERRE DES FEMMES: Keine Abschiebung vergewaltigter Frauen und Mädchen. Presseerklärung vom 23.02.1993

3 TERRE DES FEMMES; Medica Mondiale: „Ich mische mich da ein!“ Aufruf zur Frauen-Kampagne von Medica Mondiale. In: TERRE DES FEMMES: Menschenrechte für die Frau 1/1997, S. 25 f

Grienberger, Regine: „Ich mische mich da ein“. Symbolische Frauenhärtefallkommission der Medica-Kampagne. In: TERRE DES FEMMES: Menschenrechte für die Frau 2/1997, S. 29

4 Gaus, Bettina: Abschiebung wär ein Trauma. Die tageszeitung vom 15.04.1997

5 TERRE DES FEMMES: Brief an den Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vom 01.12.1992

6 Rita Schäfer: Ende der Straflosigkeit. In: Frauensolidarität, Wien. 4/2008, S. 28 f

7 Amnesty International ebda.

Weiterführende Literatur:

Cigelj Jadranka: Appartement 102. Omarska. Ein Zeitzeugnis. Herausgegeben von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, Deutsche Sektion, Diametric Verlag, 2. Auflage 2007

Stand: April 2021

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