ANZEIGEN GEGEN GEWALT: Ein Experiment zu Zivilcourage und häuslicher Gewalt

TERRE DES FEMMES und eBay-Kleinanzeigen veröffentlichen Ergebnisse: 86% der eBay-NutzerInnen ignorieren nach direkter Kontaktaufnahmen offensichtliche Anzeichen häuslicher Gewalt. TERRE DES FEMMES, Menschenrechte für die Frau e.V. hat mit der Unterstützung von eBay Kleinanzeigen und der Agentur Jung von Matt SAGA ein deutschlandweites Experiment durchgeführt, dass der Frage nachgeht: Was machen Menschen, wenn sie mit offensichtlichen Hinweisen auf häusliche Gewalt konfrontiert werden? Zeigen Sie Zivilcourage und bieten Hilfe an? Oder schauen sie weg und ignorieren den Hinweis?

Hintergrund

Häusliche Gewalt an Frauen ist ein fast unsichtbarer, jedoch allgegenwärtiger Missstand in unserer Gesellschaft. Jede vierte Frau in Deutschland ist davon betroffen. Alleine 2020 waren laut Bundeskriminalstatistik 119.164 Frauen in Deutschland von häuslicher Gewalt betroffen. Für 139 Frauen endete die Gewalt tödlich. Doch TERRE DES FEMMES sowie weitere Experten, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch, gehen von einer noch viel höheren Dunkelziffer aus. Denn nicht alle Frauen melden einen Vorfall von häuslicher Gewalt oder erhalten die benötigte Hilfe, um sich aus der Situation zu befreien. TERRE DES FEMMES stellt in der täglichen Arbeit fest, dass häusliche Gewalt sehr oft bagatellisiert und tabuisiert wird, sodass Betroffene, die selbst die Kraft nicht haben ihren Partner anzuzeigen, auch von ihrem Umfeld nicht die ermutigende Unterstützung erhalten.

Das Experiment

Vom 23. Februar bis zum 7. März 2022 wurden insgesamt 26 „Gewaltanzeigen“ auf ebay-Kleinanzeigen von weiblichen Nutzerinnenprofilen inseriert. Die Plattform eBay Kleinanzeigen verankerte das Experiment in den häuslichen Kontext. In den beliebtesten Kategorien der online-Tauschbörse wie Elektronik, Mode & Beauty, Haus & Garten, Freizeit, Hobby & Nachbarschaft wurden die Anzeigen für Gegenständen aus dem alltäglichen Gebrauch gestreut.Alle inserierten Artikel hatten jedoch eine deutliche Beschädigung, die sichtbar auf dem Foto erschien und in der Artikelbeschreibung unmissverständlich darauf hinwies, dass der Gegenstand durch häusliche Gewalt an der Nutzerin zu Schaden gekommen ist. Die 19 verschiedenen Nutzerinnenprofile waren eindeutig als weiblich zu erkennen und stammten aus ganz Deutschland.

© TDF

Die Auswertung

25.000 Views und 735 Direktnachrichten. Davon ignorierten knapp 83% den Hinweis zu häuslicher Gewalt.16% der Direktnachrichten boten konkrete Hilfe an.1% reagierten mit Wortgewalt.

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Schlussfolgerung

„Wir können aus dem Experiment und anhand der Zahlen nur schlussfolgern, dass in Sachen Sensibilisierung und Prävention von häuslicher Gewalt noch sehr viel Luft nach oben ist“, so Sina Tonk, Bereichsleiterin von TERRE DES FEMMES.

Dass 86% der Direktnachrichten den Hinweis auf häusliche Gewalt in der Anzeige ignorieren, wertet die Frauenrechtsorganisation folgendermaßen: Die hohe Tabuisierung und die mangelnde Zivilcourage sind große Hindernisse bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt in unserer Gesellschaft. Häusliche Gewalt an Frauen wird oftmals nicht ernst genommen, heruntergespielt oder ignoriert und dadurch viel zu selten angezeigt.

Positiv hervorzuheben ist bei dem Experiment jedoch die Qualität der Direktnachrichten (16%), die Hilfe angeboten haben. „Die NutzerInnen, die Hilfe angeboten haben, haben richtig reagiert: Indem Sie zum größten Teil auf Hilfeangebote und Lösungswege hingewiesen haben: Ein Verweis auf das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ oder das Angebot, die Polizei für sie zu kontaktieren ist neben einer ernstgemeinsten Anteilnahmen meist der erst Schritt, um einer Betroffenen zu helfen.“ Mit diesem Experiment möchte TERRE DES FEMMES insbesondere auf drei wichtige Aspekte in der Bekämpfung von häuslicher Gewalt aufmerksam machen:

  • Betroffene von häuslicher Gewalt dürfen nicht in ihrer Situation alleine gelassen werden, jede und jeder ist aufgefordert hinzuschauen und zu helfen.
  • Es bedarf einen entschiedenen politischen Willen, um den gesellschaftlichen Missstand zu enttabuisieren und konsequent abzuschaffen.
  • Es bedarf einer umfassenden, statistischen Erfassung im Bereich häusliche Gewalt. Die letzte umfassende Dunkelfeldstudie zu häuslicher Gewalt ist aus dem Jahr 2004. BMFSFJ, BMI und BKA haben 2021 angekündigt eine geschlechterübergreifende Opferbefragung zu Gewalterfahrungen zu planen, diese muss schnellstmöglich umgesetzt werden.

Weitere Forderungen von TERRE DES FEMMES im Bereich häusliche Gewalt an Frauen:

  • Ein neuer Aktionsplan zu Gewalt an Frauen: Deutschland braucht ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen, das konkrete Maßnahmen vorsieht und mit einem umfassenden Budget ausgestattet ist.
  • Schnelle Umsetzung der Istanbul-Konvention ohne Vorbehalte wie im Koalitionsvertrag vereinbart.
  • Umsetzung eines Rechtsanspruchs auf Hilfe bei Gewalt: Deutschland muss sicherstellen, dass allen Frauen, die Gewalt erleiden, adäquate Hilfe und Unterstützung zur Verfügung steht, unabhängig von ihrem Wohnort, Gesundheitszustand, der Herkunft oder dem Aufenthaltstitel.

Weiter Informationen und Ausführungen zu den Forderungen von TERRE DES FEMMES finden Sie hier


Startistiken/Quellen:

- BKA: Part­ner­schafts­ge­walt - Kri­mi­nal­sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung - Be­richts­jahr 2020

- BMFSFJ / Ursula Müller, Monika Schröttle (2004): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Zusammenfassung zentraler Studienergebnisse, Bonn.

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