Sexualität als Machtdemonstration

Sexualisierte Gewalt bezeichnet jegliche Übergriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung von Betroffenen. Es geht bei dieser Form der Gewaltausübung nicht um die sexuelle Befriedigung des Täters, sondern Sexualität wird als Waffe verwendet, um Macht zu demonstrieren und die andere Person zu erniedrigen.

Slut wulk 2011
© Bahar Buyrukcu

Unter sexualisierter Gewalt stellen wir uns körperliche Übergriffe wie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und Missbrauch vor. Aber sexualisierte Gewalt beginnt bereits bei jeder Form unerwünschter sexueller Kommunikation, bei obszöner und frauenfeindlicher Sprache und Gestik, aufdringlichen Blicken oder verbalen Belästigungen und geht über ungewollte sexuelle Berührungen bis hin zum erzwungenen Geschlechtsverkehr. Auch im digitalen Raum findet sexualisierte Gewalt statt: Durch die Verbreitung intimer Details oder Film- und Fotoaufnahmen ohne Einwilligung der Betroffenen, durch die unerwünschte Zusendung von pornografischen Bildern oder Videos, oder auch durch Cybergrooming. Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen – und meistens aus dem Umfeld der Betroffenen. Nur in Ausnahmefällen ist der Täter ein Unbekannter. Sexualisierte Gewalt und häusliche Gewalt sind häufig eng miteinander verknüpft.

Das Ausmaß sexualisierter Gewalt:

Sexualisierte Gewalt ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet – die Zahlen einer EU weiten Studie der European Agency For Fundamental Rights (FRA) sprechen für sich:

  • Jede dritte Frau (33%) hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren.
  • In Deutschland haben 60% der Befragten die Frage nach dem Erleben jeglicher Form von sexualisierter Belästigung seit dem 15. Lebensjahr mit „Ja“ beantwortet.
  • Eine von 20 Frauen (5%) ist seit ihrem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden.
  • 6% der befragten Frauen gaben an, dass jemand versucht hat, sie zum Geschlechtsverkehr zu zwingen
  • 6% der Frauen wurden zu ungewollter oder unbewusster sexueller Aktivität genötigt
  • 6% der Frauen haben sexueller Aktivität zugestimmt, aus Angst vor dem was geschehen würde, wenn sie sich geweigert hätten.

Weltweit haben 2018 laut einer Studie der WHO mindestens 736 Millionen Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr Partnerschaftsgewalt oder sexualisierte Gewalt erfahren. Das sind laut WHO etwa 30% aller Frauen weltweit.

Insgesamt sind zwei von drei Frauen in ihrem Leben von sexueller Belästigung betroffen. Jede siebte Frau erlebt schwere sexualisierte Gewalt. Zusätzlich sind Frauen mit Behinderung zwei bis dreimal häufiger von sexueller Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderung. Mädchen und Frauen mit Behinderung bilden eine besonders vulnerable Gruppe in der Bevölkerung und sind aufgrund dessen besonders häufig verschiedensten Arten von Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Es zeigt sich dabei ein häufig wechselseitiger und vor allem unmittelbarer Zusammenhang zwischen Behinderung und sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend (BMFSFJ 2014).

Diese Zahlen sind umso erschreckender, wenn bedacht wird, dass nur die wenigsten Frauen ihre Erlebnisse zur Anzeige bringen. Insgesamt wenden sich nur etwa 11% der Betroffenen von körperlicher und sexualisierter Gewalt an die Polizei. Dadurch wird nur etwa jeder 10. Fall bekannt, 9 von 10 Fällen sexualisierter Gewalt bleiben im Dunkeln (BKA 2020).

Sexualisierte Gewalt findet auch an Kindern und Jugendlichen statt. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) stieg die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch im Jahr 2021 um 6,3 % auf mehr als 15.500. Einen deutlichen Anstieg um 108 % auf über 39.000 Fälle gab es bei den Darstellungen und Verbreitungen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Im Jahr 2021 waren somit pro Tag durchschnittlich 49 Kinder in Deutschland sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Vorurteile und Mythen

Sexualisierte Gewalt ist ein strukturelles Problem, in dem sich gewisse Mythen, über Ursachen, Kontext, Folgen, sowie Täter und Opfer und ihrer Interaktion, hartnäckig halten. Diese Mythen dienen dazu die sexuelle Gewalt von Männern gegen Frauen zu leugnen, zu verharmlosen oder zu rechtfertigen. Bis heute ist das gängige Bild beim Thema sexualisierte Gewalt die brutale Vergewaltigung einer Frau durch einen unbekannten Triebtäter nachts im Park. Doch öffentliche Orte sind bei sexualisierter Gewalt in „nur“ etwa 20 Prozent der Fälle auch der Tatort. Die Täter sind auch in der Regel keine „Psychopathen“, die ihren Trieb nicht kontrollieren können. Nur etwa 3% der Täter weisen eine psychische Störung auf.*

Weniger Erwähnung findet in der Berichterstattung die „alltägliche“ Gewalt an Frauen. Sie findet im eigenen zuhause statt und der Täter ist in der Regel kein Unbekannter. Die Hemmungen, nahestehende Personen anzuzeigen, sind groß und die Meldequote entsprechend gering. Viele Betroffene sprechen aus Scham mit niemanden über die Tat.

Immer noch passiert es häufig, dass den Mädchen und Frauen eine Mitschuld an der Tat gegeben wird. Es wird ihnen zum Vorwurf gemacht, sich falsch gekleidet, falsch verhalten oder sich am falschen Ort aufgehalten zu haben. Zudem erleben viele Betroffene, dass ihnen nach einer Vergewaltigung nicht geglaubt wird. Der Mythos der „Falschanzeigen“ ist allgegenwärtig und findet immer wieder viel mediale Aufmerksamkeit. Beispielweise im Rahmen der #MeToo Bewegung wurden Sorgen von allen Seiten laut – von Betroffenen die Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, und von Männern die Sorge zu Unrecht bestraft zu werden. Doch letztere ist unbegründet, denn gerade beim Straftatbestand der Vergewaltigung sind vorgetäuschte Gewaltdelikte gering: Schätzungen gehen lediglich von etwa 3% Falschbeschuldigungen aus.

Rechtlicher Umgang mit sexualisierter Gewalt

Seit dem 10. November 2016 ist in Deutschland das neue Sexualstrafrecht in Kraft. Im Gegensatz zum alten Recht sind nun alle sexuellen Handlungen, die gegen den erkennbaren Willen der anderen Person verübt werden, strafbar. Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ wurde somit im Strafgesetz verankert, sowohl was Vergewaltigung angeht (§177 StGB) als auch sexuelle Belästigung (§184i StGB). Darüber hinaus wurde der diskriminierende § 179 abgeschafft, der speziell bei Taten gegen Widerstandsunfähige ein geringeres Strafmaß vorsah.

Mit dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von 2011, auch als Istanbul-Konvention bezeichnet, wurden unter anderem auch Rahmenbedingungen für den Umgang mit sexualisierter Gewalt geschaffen. In Artikel 25 wird zudem die Bedeutung einer leicht zugänglichen und traumasensiblen Betreuung und Unterstützung von Betroffenen sexualisierter Gewalt betont. Außerdem verpflichtet sie in Artikel 36 und Artikel 40 die Vertragsstaaten zu einer Sicherstellung der erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, die jegliche Form sexualisierter Gewalt und Belästigung strafrechtlich zu sanktionieren.

*Thomas Müller: Sexualstraftäter sind meist erschreckend normal.
Nur etwa drei Prozent der Sexualstraftäter landen im Maßregelvollzug. Bei den übrigen lassen sich die Delikte nicht primär durch eine psychische Störung erklären. 02.02.2017
www.aerztezeitung.de/Medizin/Sexualstraftaeter-sind-meist-erschreckend-normal-311533.html

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