Die Lage der Frauen in Afghanistan

Frauen in Afghanistan im Jahr 2020
© TDF

Bereits 2018 sah eine Studie von Thomson Reuters Afghanistan auf Platz zwei der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit. Anfang 2021 berichtete Human Rights Watch, dass 87 Prozent der afghanischen Frauen Menschenrechtsverletzungen erfahren haben. Diese reichen von Zwangsverheiratung und -Prostitution über Vergewaltigung bis hin zu Entführung und Ehrenmord. Ein Drittel der Mädchen wird in Afghanistan minderjährig verheiratet. Die Müttersterblichkeitsrate ist eine der höchsten weltweit.

Auch der Frauen vorenthaltene oder aber unzureichende Zugang zu Bildung hat tiefe Spuren hinterlassen: UNESCO zufolge betrug die Analphabetismus-Rate unter Frauen 2020 fast 70 Prozent. Afghanistan wird seit langem von Kriegshandlungen und terroristischen Attentaten erschüttert, deren Auswirkungen v.a. für Frauen und Mädchen verheerend sind - 2020 lag Afghanistan im Global Terrorism Index des Instituts für Wirtschaft und Frieden auf Platz 1 von 135 untersuchten Ländern mit 1.422 Attentaten und 5.725 Toten. Die Taliban verübten davon mit großem Abstand die meisten Taten und schreckten nicht einmal vor Mädchenschulen und Geburtskliniken zurück.

Lage der Frauen nach Rückkehr der Taliban 2021

Die Rückkehr der Taliban an die Macht nach Abzug der NATO-Truppen im August 2021 hat die Lage erheblich verschärft. In den letzten zwei Jahrzehnten konnten sich afghanische Mädchen und Frauen zumindest laut Verfassung auf gleiche Rechte berufen, im Jahr 2009 trat sogar ein – wenn auch in der Praxis unzulänglich angewendetes – Gesetz zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen in Kraft, das erstmals Vergewaltigung und innerfamiliäre Gewalt als Straftatbestände anerkannte. Frauenschutzhäuser wurden eingerichtet und spezialisierte Polizei- und Justizeinheiten zum Umgang mit Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt geschaffen. Unter den Taliban drohen diese Fortschritte und die Handlungsspielräume, die sich Frauen mühsam erkämpft haben, zunichte gemacht zu werden.

Zwar versprachen die Taliban im Bemühen um diplomatische Anerkennung und finanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft, die Rechte afghanischer Mädchen und Frauen zukünftig zu achten. Die Realität spricht jedoch eine andere Sprache. Bereits wenige Wochen nach Machtantritt schafften die Taliban das Ministerium für die Angelegenheiten von Frauen ab und ersetzten es durch das Ministerium „für Gebet und Orientierung sowie zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung von Lastern“ – Letzteres setzte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 die Scharia bzw. deren ultrakonservative Auslegung auch mit Auspeitschungen und öffentlichen Hinrichtungen von Frauen durch. Frauenschutzhäuser wurden zwischenzeitlich geschlossen und gleichzeitig Gefängnisinsassen, darunter auch wegen häuslicher Gewalt Verurteilte, von den Taliban entlassen. Auch ehemalige Polizistinnen, Richterinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen fürchten Vergeltungsakte einst inhaftierter Straftäter.

In der von den Taliban am 7. September 2021 vorgestellten Übergangsregierung sitzt keine einzige Frau. In dem am 21. September 2021 um 17 Personen erweiterten Kabinett ist weiter keine Frau vertreten. Von Regierungspositionen wurden alle Frauen entfernt und weibliche Medienschaffende mehrheitlich entlassen. Die einzigen zwei Arbeitsbereiche, zu denen Frauen aktuell – wenn auch eingeschränkt - Zugang haben, sind das Gesundheitswesen und der Bildungsbereich. Besonders prekär ist die Lage für alleinstehende und alleinerziehende Frauen. Häufig sind sie die Alleinversorgerinnen in ihren Familien. Wenn ihnen untersagt wird, zu arbeiten, oder mancherorts ohne einen männlichen Verwandten das Haus zu verlassen, hat das gravierende Folgen für ihre Existenzsicherung. Viele haben zudem Angst, zu einer Heirat mit Taliban-Kämpfern gezwungen zu werden.

Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird erneut stark beschnitten – viele bleiben aus Angst vor den Taliban oder Schikanen bei Kontrollen der Kleiderordnung zu Hause. Auch der Zugang zu öffentlicher Gesundheitsversorgung ist für Frauen erschwert, da sie sich ausschließlich von weiblichen Fachkräften behandeln lassen dürfen, die nicht überall präsent sind. Die Ausübung von Sport wurde Frauen gänzlich untersagt. Allein der Grundschulbesuch ist Mädchen landesweit weiter möglich. Zum Besuch der Sekundarschulen wurden bei Wiederöffnung lediglich Jungen und männliche Lehrkräfte aufgerufen. Zunächst solle eine vollständige Geschlechtertrennung hergestellt werden. Ob, wie und wann diese bei Lehrkräfte- und Budget-Mangel, räumlichen Gegebenheiten und zeitlichen Herausforderungen wie separaten Unterrichtszeiten gewährleistet werden kann, bleibt derzeit offen.

Tausende Menschen haben Afghanistan verlassen oder halten sich aus Angst vor Verfolgung und Vergeltung im Land versteckt. Menschen- und insbesondere FrauenrechtsaktivistInnen schweben in besonderer Gefahr. Nichtsdestotrotz protestieren mutige Frauen weiterhin gegen die Taliban und Frauenrechtsverletzungen, und stellen sich der teilweise brutalen Reaktion des Regimes entgegen.

Die Stadt Shahrak

Shahrak liegt im Westen Afghanistans in der Nähe der Stadt Herat und ist eine Siedlung der schiitischen Hasara-Minderheit. Obwohl die Hasara in Afghanistan die drittgrößte Volksgruppe bilden, wurden sie wegen ihrer religiösen und ethnischen Sonderstellung immer wieder Opfer von Verfolgung und Diskriminierung, insbesondere durch religiös-fundamentalistische Gruppen wie die Taliban und ISIS. Ursprünglich kommen die Hasara aus dem so genannten Hasarajat - einer Region in der Mitte Afghanistans.

Die Menschen in Shahrak waren bereits vor der Rückkehr der Taliban an die Macht stark von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen. Etliche Frauen haben ihre Männer im Krieg verloren und müssen allein für ihre Familien sorgen. Viele der EinwohnerInnen Shahraks haben während des ersten Taliban-Regimes im Iran gelebt, wo ihnen der Schulbesuch durch hohe Schulgebühren für Geflüchtete verunmöglicht wurde.

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